Hilbert-Einstein-Prioritätsstreit

Wolfgang G. Gasser


 

1997 löste ein Artikel [1] von Corry, Renn und Stachel in Science das Wiederaufflammen der Debatte um die Priorität der Feldgleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie (ART)  aus.

2005 erschien das Buch "zwei wirkliche Kerle" [2] von Daniela Wuensch (erste Auflage), wo sie David Hilbert die Priorität für die Feldgleichungen zuspricht und Einstein mehr oder weniger direkt des Plagiats bezichtigt. Das Buch ist interessant geschrieben und, wie es mir scheint, objektiv dokumentiert. Die Autorin vertritt folgende Thesen:

1)        Hilbert ist derjenige, der die als richtig geltenden Feldgleichungen zuerst gefunden hat.

2)        Hilbert sandte diese Gleichungen Einstein auf einer Postkarte zu.
"In dieser Zeit hat Hilbert niemandem sonst eine Postkarte mit diesen drei Gleichungen zugeschickt." S.72

3)        Einsteins letzte Anstrengungen vor der Fertigstellung der ART bestanden primär darin, Hilbert zu studieren und Hilberts Gleichungen zu übernehmen.
"Offenbar hat Einstein ein Woche gebraucht, um Hilberts Gravitationsgleichungen in Einklang mit seiner Theorie zu bringen." S.72
 "Wahrscheinlich wurde Freundlich sogar durch Einstein veranlasst, Baade um die Aufzeichnungen von Hilberts Vortrag [vom 16. November] zu bitten.
" S.74
"Höchstwahrscheinlich haben diese Aufzeichnungen neben Hilberts postalischer Mitteilung Einstein geholfen, Hilberts Gleichungen besser zu verstehen und sie in seine Theorie einzubauen." S.75

4)        Da Einstein Hilberts Gleichungen ohne Hilbert zu zitieren veröffentlichte, war Hilbert berechtigt, sein Manuskript ohne Hinweis oder Änderung des Einreichdatums zu korrigieren.
"Eine Erklärung wäre, dass sich Hilbert darüber aufregte, dass Einstein vor ihm die Gravitationsgleichungen veröffentlicht hat, ohne ihn zu zitieren. ... Das könnte auch erklären, warum er sich ohne weiteres berechtigt fühlte, das erste Manuskript abzuändern, ohne das Datum vom 20. November zu korrigieren." S.84

5)        Das Fehlen der korrekten Gleichungen in Hilberts Probedruck mit Druckstempel 6. Dezember ist Folge einer gezielten Manipulation des Probedrucks (wahrscheinlich nach 1985).

–––

[1] Leo Corry, Jürgen Renn and John Stachel, “Belated Decision in the Hilbert-Einstein Priority Dispute,” Science 278 1270–1273 (1997).

[2] http://s-edition.de/EinsteinHilbert.htm


Beim folgenden handelt es sich um Beiträge einer Newsgruppen-Diskussion zum Thema: Hilbert-Einstein-Prioritätsstreit  (Nicht mehr funktionierende Links wurden durch analoge Links ersetzt)


2005-04-08

Hendrik van Hees:

... Hilbert (er hat die endgültigen Feldgleichungen der ART sogar 14 Tage vor Einstein veröffentlicht) …

Diesen Eindruck hat Hilbert auf nicht ganz saubere Weise zu erwecken gesucht. Hart formuliert: Hilbert hat die Gleichungen von Einstein gestohlen (und zum Gerücht beigetragen, Einstein wäre ein Plagiator), indem er seine eigenen Gleichungen IM NACHHINEIN durch Einsteins Gleichungen ersetzt hat.

"Many have claimed that in 1915 Hilbert discovered the correct field equations for general relativity before Einstein but never claimed priority. The article [by Corry, Renn & Stachel] however, shows that this view is in error. In this paper the authors show convincingly that Hilbert submitted his article on 20 November 1915, five days before Einstein submitted his article containing the correct field equations. Einstein's article appeared on 2 December 1915 but the proofs of Hilbert's paper (dated 6 December 1915) do not contain the field equations." http://www-history.mcs.st-andrews.ac.uk/Biographies/Hilbert.html

"In the printed version of his paper, Hilbert added a reference to Einstein's conclusive paper and a concession to the latter's priority: "The differential equations of gravitation that result are, as it seems to me, in agreement with the magnificent theory of general relativity established by Einstein in his later papers". If Hilbert had only altered the dateline to read "submitted on 20 November 1915, revised on [any date after 2 December 1915, the date of  Einstein's conclusive paper]," no later priority question would have arisen." L Corry, J Renn and J Stachel, Belated Decision in the Hilbert-Einstein Priority Dispute, Science 278 (14 November, 1997).

"This said, I still feel Hilbert acted unethically, but not so much in making changes to his text in early 1916 as in purposely blurring the historical record later, probably because he wished to divert attention from his own past mistakes. This act of obfuscation occurred in 1924 when Hilbert published a massively altered version of his two notes in the Mathematische Annalen asserting that these constituted "essentially a reprint of the earlier communications ... with only minor editorial alterations and changes in order to ease understanding." Since Hilbert was the principal editor of Mathematische Annalen, he obviously did not have to worry much about what others might think of this tactic, which was really just a blatant abuse of power." D. E. Rowe, "Einstein Meets Hilbert: At the Crossroads of Physics and Mathematics_, _Physics in Perspective_ 3 (4): pp. 379-424 Nov. 2001.


2005-04-13

Betreffend Leo Corry, Jürgen Renn and John Stachel, “Belated Decision in the Hilbert-Einstein Priority Dispute,” Science 278 1270–1273 (1997)

Michael Klemm:

Ein Plagiatsvorwurf an Hilbert ist nicht zu entdecken.

Homo Lykos:

Soweit ich die Arbeit überhaupt gelesen habe - ich bin nicht sehr motiviert deutsch in englischer Übersetzung zu lesen - ist die Arbeit meines Erachtens suggestiv abgefasst, d.h. ohne das Wort Plagiat in den Mund zu nehmen erwecken die Autoren - mindestens bei mir - durchgehend den Eindruck, dass Hilbert ein ganz bewusst und gezielt vorgehender Plagiator sei.

Es gibt eine Version von Einstein:

1a)  Eingereicht am 25.11.1915 und veröffentlich am 02.12.1915.

Wir sprechen über vier verschiedene Versionen von Hilbert:

2a)  Ein Kopie, eine Zusammenfassung oder ein Auszug, den Hilbert Einstein vor dem 18.11.1915 zuschickte

2b)  Der ursprüngliche Probeabzug (the "proofs") des Manuskripts mit Einreichdatum 20.11.1915 und Druckstempel 06.12.1915

2c)  Die ursprünglich veröffentlichte Version vom 31.3.1916

2d)  Die Wiederveröffentlichung von 1924

"Both the proofs and the final version of Hilbert's first communication are dated 'submitted on 20 November 1915,' presumably referring to the original manuscript. A copy of the proofs, preserved in his archives and marked in his own hand 'First proofs of my first note,' bears a printer's stamp dated 6 December 1915." [Seite 1271, Mitte oben]

"Hilbert must have sent the requested copy or a summary of his paper immediately because, on the 18th, Einstein replied, reacting sharply to Hilbert's claim of originality." [Seite 1272, rechts oben]

Homo Lykos:

Und - wenn die behaupteten Fakten stimmten - dann hätte Hilbert sein Manuskript ja nach dem Lesen von Einsteins Arbeit in einem ganz wesentlichen Punkt verändert, und das wäre tatsächlich höchst unehrenhaft, wenn er solches ohne Verweis auf Einstein getan hätte.

Es stellt sich die Frage, ob folgende Statements von Renn et al. berechtigt sind oder nicht:

"In the proofs, Hilbert asserts that his theory cannot be generally covariant." [Seite 1271, oben rechts]

"To summarize: Initially [2b], Hilbert did not give the explicit form of the field equations; then [2c], after Einstein had published his field equations, Hilbert claimed that no calculation is necessary; finally [2d] he conceded that one is." [Seite 1272, Mitte unten]

Natürlich ist die Hypothese möglich, dass die Feldgleichungen in [2b] genau in einem der zwei kurzen (ca. 4 cm langen) fehlenden Abschnitte standen, obwohl sie dort kontextuell eigentlich schlecht hinpassen. Aber Renn et al. daraus einen Vorwurf zu machen, diese Hypothese in ihrem Science-Artikel nicht erwähnt zu haben, ist nicht gerechtfertigt, denn diese Hypothese ist apriori keineswegs naheliegend.

Aber selbst wenn Teile fehlen würden, wo offensichtlich Feldgleichungen mit oder ohne Begründung gestanden haben dürften, wäre die Hypothese, jemand aus "Hilberts Lager" hätte Passagen entfernt, die in offensichtlichem Widerspruch zur veröffentlichten Version standen, sicher nicht weniger naheliegend als die Hypothese, jemand aus "Einsteins Lager" hätte diese Passagen entfernt.

Dass von den beiden veröffentlichten Versionen nicht einmal klar darauf geschlossen werden kann, um was es in den kurzen fehlenden Passagen des Probeabzugs gegangen ist, zeigt doch eindeutig, wie stark sich die beiden veröffentlichten Versionen von der ursprünglich eingereichten unterscheiden.

Man vergleiche Druckfahnen und veröffentlichte Version.

Nach solchen Änderungen weder Einreichungsdatum zu ändern noch auf Überarbeitung hinzuweisen, deckt sich nicht ganz mit meiner Vorstellung von wissenschaftlicher Redlichkeit. 

Fortsetzung Homo Lykos:

Dagegen spricht aber schon der Umstand, dass Hilbert ja wusste, dass Einstein derartiges sofort merken würde, weil er ja im Besitze einer Abschrift war.

Hat Hilbert zwei Manuskripte verfasst, eines für Einstein und (danach) ein identisches zur Einreichung? Das kann ich mir kaum vorstellen. Zur erhaltenen "Abschrift" [2a] schrieb Einstein Hilbert aber folgendes: "The system given by you agrees - as far as I can see - exactly with what which I found in recent weeks and submitted to the academy".

Fortsetzung Homo Lykos:

Und ebenso spricht dagegen, dass Einstein darüber stillschweigend hinweggegangen wäre, nachdem er genau dieser Arbeit wegen, aber eben nicht der umstrittenen Gleichungen wegen, Hilbert bereits des Plagiats verdächtigt hatte, was dann wohl der Grund für Hilberts Korrektur auf der ersten Seite der Druckfahnen war, die Einstein dann wieder versöhnlicher stimmte. Eigentlich der einzige Sachverhalt von Belang, den Pais nicht auch schon kannte.

Aber bekam denn Einstein diese "erste Seite der Druckfahnen" zu sehen? Vielleicht ist sein Versöhnlicher-werden nur darauf zurückzuführen, dass er die Sache mit etwas Distanz nicht mehr so ernst nahm, sich über sein eigenes Wichtig-nehmen der Prioritätsfrage ärgerte, oder Hilberts Verhalten als verzeihliche menschliche Schwäche interpretierte?


2005-05-05

Wolfgang G.:

Es gibt eine Version von Einstein:

1a)  Eingereicht am 25.11.1915 und veröffentlich am 02.12.1915.

Wir sprechen über vier verschiedene Versionen von Hilbert:

2a)  Ein Kopie, eine Zusammenfassung oder ein Auszug, den Hilbert Einstein vor dem 18.11.1915 zuschickte

2b)  Der ursprüngliche Probeabzug (the "proofs") des Manuskripts mit Einreichdatum 20.11.1915 und Druckstempel 06.12.1915

Homo Lykos:

Es ist eine vernünftige Annahme, dass Hilbert Einstein [2a] nur so schnell schicken konnte, weil er bereits Kopien der einzureichenden Schrift besass; denkbar, dass er für Einstein noch die eine oder andere Anmerkung hinzufügte.

Aber alle Kopien sind natürlich inzwischen verschwunden, bzw. vom "Einstein-Lager" vernichtet worden. Auch alle anderen Belege (z.B. Aufzeichnungen von Vorträgen) die darauf hindeuten könnten, dass Hilbert die Gleichungen vor Einstein formulierte und als die richtigen erkannte, sind natürlich auch verschwunden, bzw. vom "Einstein-Lager" aufgespürt und unschädlich gemacht worden.

Gemäss Daniela Wuensch hat Hilbert die Gleichungen auf einer POSTKARTE Einstein geschickt, der sich praktisch nur mehr damit beschäftigte, Hilberts Arbeiten zu verstehen und zu verwerten.

Homo Lykos:

Recht sicher ist auch, dass Einstein dieser Kopie wegen bei Zangger "Plagiatsvorwürfe" gegenüber Hilbert erhob und später wohl auch direkt gegenüber Hilbert, der dann wohl daraufhin Einstein zusagte, die jetzt aufgefundene Korrektur auf der ersten Seite einzufügen, was Einstein dann wieder friedlich stimmte.

Wenn jemand die Erstbesteigung eines Berges plant, bei dem eine wesentliche Schwierigkeit darin besteht, eine Schneise zum Berg zu schlagen, dann wird er das Bestreben eines anderen Bergsteigers, ihm durch die schon geschlagene Schneise zu folgen um ihn auf den letzten Metern zu überholen, für nicht allzu ehrenhaft erachten.

Wolfgang G.:

2c)  Die ursprünglich veröffentlichte Version vom 31.3.1916

2d)  Die Wiederveröffentlichung von 1924.

Homo Lykos:

Meines Erachtens ist [2d] im vorliegenden Zusammenhang unwesentlich. Diese Arbeit hatte zwar den gleichen Titel wie die von 1916, aber es ging ihm meines Wissens doch *offensichtlich* nicht darum, zu belegen alles, war er da schreibe, habe er schon 1916 gewusst, sondern er wollte *seine* physikalische Sicht der Dinge halt nochmals so korrekt wie nur möglich darstellen.

Siehe #Rowe

Eine meines Erachtens vernünftige und plausible Beschreibung der Wechselwirkung von Hilbert und Einstein liefern Renn und Stachel 1999: bzw. http://www.mpiwg-berlin.mpg.de/Preprints/P118.PDF

Ich persönlich gehe davon aus, dass die ART mit ihren Prämissen viel willkürlicher ist als allgemein angenommen. Somit halte ich es für eher unwahrscheinlich, dass Hilbert und Einstein unabhängig zu denselben bzw. äquivalenten Gleichungen gekommen sind. Und eine Übernahme von Hilberts Gleichungen durch Einstein ohne Hinweis halte ich für praktisch ausgeschlossen.

Wolfgang G.:

Natürlich ist die Hypothese möglich, dass die Feldgleichungen in [2b] genau in einem der zwei kurzen (ca. 4 cm langen) fehlenden Abschnitte standen, obwohl sie dort kontextuell eigentlich schlecht hinpassen. Aber Renn et al. daraus, diese Hypothese in ihrem Science-Artikel nicht erwähnt zu haben, einen Vorwurf zu machen, ist nicht gerechtfertigt, denn diese Hypothese ist apriori keineswegs naheliegend.

Homo Lykos:

Wenn klar ersichtlich ist, dass etwas ausgeschnitten wurde, *muss* es erwähnt werden, so etwas *muss* immer stutzig machen, vor allem wenn man derartig schwerwiegende Beschuldigungen erhebt.

Also wenn das Ausschneiden bewusst im Zusammenhang mit dieser Prioritätsfrage gemacht wurde, dann spricht zumindest einfache Logik dafür, dass es eher vom "Hilbert-Lager" und nicht vom "Einstein-Lager" gemacht wurde.

Hilbert hatte Einsteins Artikel am 3. oder 4. Dezember zur Verfügung, während Hilberts Probeabzug erst am 6. Dezember gedruckt wurde.

Die Aufgabe des "Einstein-Lagers" hätte darin bestanden, alle Zeugnisse dafür, dass Hilbert die "richtigen" Gleichungen schon von Mitte November bis zum 3. Dezember kannte, zu vernichten. Eine einzige Erwähnung in einem Brief von Hilbert dieser so sehnlich gesuchten Gleichungen oder eine einzige Mitschrift eines Vortrags von Hilbert zu diesem Thema hätte die Vernichtung aller anderen Zeugnisse nutzlos gemacht.

Anders aber stellte sich der Fall für das "Hilbert-Lager" dar, wenn der ausgeschnittene Teil ("Annahme (17)", siehe unten) in offensichtlichem Widerspruch zur knapp vier Monate später veröffentlichten (Einstein-kompatiblen) Version gestanden haben sollte.

Aber gegen diese Hypothese einer Verschwörung des "Hilbert-Lagers" spricht, dass es dann sicher den ganzen Probedruck vom 6. Dezember vernichtet hätte und nicht nur ein paar Zeilen. In diesem Falle würden wir nämlich weiter glauben, dass Hilberts veröffentlichte Version im Wesentlichen mit der am 20. November eingereichten übereinstimme und Hilbert die Priorität zukomme.

Wolfgang G.:

Nach solchen Änderungen weder Einreichungsdatum zu ändern noch auf Überarbeitung hinzuweisen, deckt sich nicht ganz mit meiner Vorstellung von wissenschaftlicher Redlichkeit.

Homo Lykos:

Natürlich nicht, wenn man von der Richtigkeit von Renns Behauptungen ausgeht. Es ist aber normal, dass man in Abzügen noch Änderungen anbringen kann, und solange man die nicht "abgeschrieben" hat, ist dagegen auch nichts einzuwenden.

Wenn es um die Frage "wer wann was" geht, dann sind nachträgliche Änderungen ohne Hinweis eben auch dann problematisch, wenn nicht direkt "abgeschrieben" wird.

Wolfgang G.:

Vielleicht ist sein Versöhnlicher-werden nur darauf zurückzuführen, dass er die Sache mit etwas Distanz nicht mehr so ernst nahm, sich über sein eigenes Wichtig-nehmen der Prioritätsfrage ärgerte, oder Hilberts Verhalten als verzeihliche menschliche Schwäche interpretierte?

Homo Lykos:

Das ist nicht der wirkliche Einstein

Und du kennst natürlich den "wirklichen Einstein"!

Homo Lykos:

Zudem: Hätte er sich noch im Mai 1916 sehr kritisch zu Hilberts Theorie geäussert, dazu aber nichts gesagt? Eher unwahrscheinlich.

Es gibt Menschen, die haben grosse Skrupel, andere zu beschuldigen, selbst wenn die Wahrscheinlichkeit, dass die Beschuldigung sich als ungerechtfertigt herausstellen könnte, sehr klein ist.

Wolfgang G.:

Natürlich ist die Hypothese möglich, dass die Feldgleichungen in [2b] genau in einem der zwei kurzen (ca. 4 cm langen) fehlenden Abschnitte standen, obwohl sie dort kontextuell eigentlich schlecht hinpassen. Aber Renn et al. daraus, diese Hypothese in ihrem Science-Artikel nicht erwähnt zu haben, einen Vorwurf zu machen, ist nicht gerechtfertigt, denn diese Hypothese ist apriori keineswegs naheliegend.

Homo Lykos:

Ich beziehe mich auf Seite 11 der Druckfahnen [siehe]. Dort wird genau bei Gleichung (26), der sogenannten impliziten Form der hilbertschen Gravitationsgleichungen, zu ihrer Begründung auf (17) zurückverwiesen. Aber genau die Gleichung oder die Gleichungen (17) [Hilbert nummeriert nicht alle Gleichungen einzeln] wurden ganz offensichtlich auf Seite 8 oben weggeschnitten!

Exakt vor Gleichung (26) steht:

"Es bleibt noch übrig, bei der Annahme (17) direkt zu zeigen, wie die oben aufgestellten verallgemeinerten Maxwellschen Gleichungen (5) eine Folge der Gravitationsgleichungen (4) in dem oben angegebenen Sinne sind.

Unter Verwendung der vorhin eingeführten Bezeichnungsweise für die Variationsableitungen bezüglich der g_uv erhalten die Gravitationsgleichungen wegen (17) die Gestalt:"

Zusammengefasst: Bei Annahme (17) erhalten die Gravitationsgleichungen (4) die Gestalt (26).

Also wenn "Annahme (17)" die gesuchten ART-Gleichungen gewesen wären und Hilbert sie als solche erkannt hätte, hätte er sicher ganz anders argumentiert.

Und zur Unterscheidung von "implizit" und "explizit" ist zu sagen, dass jede explizite Lösung eines mathematischen Problems implizit im Problem enthalten ist.

Fortsetzung Homo Lykos:

Wenn jemand dies in einer wissenschaftlichen Arbeit nicht erwähnt, dann ist dies entweder eine bewusste Irreführung der Leser oder ein Beweis völliger Inkompetenz.

Wenn man "Annahme (17)" als die damals intensiv gesuchten Gleichungen interpretiert, dann ...

Wolfgang G.:

Nach solchen Änderungen weder Einreichungsdatum zu ändern noch auf Überarbeitung hinzuweisen, deckt sich nicht ganz mit meiner Vorstellung von wissenschaftlicher Redlichkeit.

Homo Lykos:

Damit, mit dem Beibehalten des Einreichdatums, scheint Hilbert - auf sehr dezidierte Art - seine Priorität festgehalten zu haben,

Ja. Die Frage ist nur, ob zu Recht oder zu Unrecht.

Fortsetzung Homo Lykos:

nachdem Einstein Hilbert in seiner Arbeit ja nicht zitiert hatte

Hätte Einstein etwas zitieren sollen, wovon bis heute keine Spur auffindbar ist?

Homo Lykos:

und nach dem von Wünsch zitierten und von Klaus P. Sommer gefundenen Brief von Max Born vom 23. Nov. 1915 an Hilbert kann es ja kaum noch irgend einen ernsthaften Zweifel an Hilberts Priorität der vollständigen Feldgleichungen geben.

Wieso keine Seitenangabe? Das Buch "zwei wirkliche Kerle" von Daniela Wuensch, das interessant geschrieben, objektiv dokumentiert, aber ziemlich einseitig und gewaltsam in der Schlussweise ist, hat mich darin bestärkt, dass Corry, Renn und Stachel richtig liegen.


2005-05-06

Wolfgang G.:

Aber alle Kopien sind natürlich inzwischen verschwunden, bzw. vom "Einstein-Lager" vernichtet worden.

Homo Lykos:

Wieso denn das? Es gibt den Hinweis aus Einsteins Brief vom 18. Nov. an Hilbert:

"Das von Ihnen gegebene System, stimmt - soweit ich es sehe - genau mit dem überein, was ich in den letzten Wochen gefunden und der Akademie überreicht habe."

Und ich vermute sogar, Einstein hatte recht mit dieser Einschätzung.

Homo Lykos:

Allerdings halte ich es heute auch für möglich, dass es sich dabei tatsächlich im Extremfall nur um die von Hilbert genannte und von Wünsch erwähnte Postkarte mit drei Gleichungen gehandelt hat. Da offensichtlich auch weitere Schreiben Hilberts an Einstein aus dieser Zeit verschwunden sind, was schon Pais aufgefallen war, ist es nicht sonderlich verwunderlich, dass auch diese Postkarte oder eine Kopie von Hilberts Arbeit fehlt, falls Hilbert sie wirklich Einstein geschickt haben sollte.

Wieso sollte Hilbert die lang gesuchte Lösung ausgerechnet Einstein zuschicken, ohne seine Priorität anderweitig abzusichern? Eine bei Hilberts Persönlichkeit ziemlich groteske Annahme!

Wolfgang G.:

Auch alle anderen Belege (z.B. Aufzeichnungen von Vorträgen) die darauf hindeuten könnten, dass Hilbert die Gleichungen vor Einstein formulierte und als die richtigen erkannte, sind natürlich auch verschwunden, bzw. vom "Einstein-Lager" aufgespürt und unschädlich gemacht worden.

Homo Lykos:

siehe Born-Zitat unten

Hier das Zitat (Max Born an Hilbert, 23. Nov. 1915):

"Von Einstein und Freundlich höre ich, dass Sie jetzt die Gravitation in Ordnung gebracht haben; auch konnte ich einen kurzen Auszug Ihres Vortrages in der Mathematischen Gesellschaft einsehen, den Dr. Baade an Freundlich gesandt hatte. Ich glaube, danach den Gedanken verstanden zu haben, da ich die Mieschen Arbeiten gut kenne; aber ich bin begierig, Genaueres zu wissen und möchte Sie herzlich bitten, mir einen Abdruck zu senden, sobald Ihre Arbeit erschienen ist. Einstein selbst sagt, er habe das Problem ebenfalls gelöst, doch scheint mir seine Betrachtung ein Spezialfall der Ihrigen." (Wuensch, S. 73-74)

Hätten sich die 'korrekten' bzw. ART-kompatiblen Gleichungen im "kurzen Auszug" befunden oder wären auch nur im "Vortrag in der Mathematischen Gesellschaft" als solche erwähnt worden, müssten doch noch Belege dafür vorhanden sein.

Und was Einstein von Hilberts Art des "in Ordnung bringen" hielt, findet sich auch in Wuenschs Buch:

"Hilberts Darstellung gefällt mir nicht. Sie ist unnötig speziell, was die 'Materie' anbelangt, unnötig kompliziert, nicht ehrlich (= Gaussisch) im Aufbau (Vorspiegelung des Übermenschlichen durch Verschleierung der Methoden)."  (S. 76)

Sehr interessant finde ich Einsteins Vergleich von Hilbert mit Gauss.

Wolfgang G.:

Und eine Übernahme von Hilberts Gleichungen durch Einstein ohne Hinweis halte ich für praktisch ausgeschlossen.

Homo Lykos:

SoSo: Bei Hilbert aber halten Sie's nicht nur für möglich, sondern für sehr wahrscheinlich. Damit disqualifizieren Sie sich aber selbst, um hier objektiv mitreden zu können.

Meines Erachtens sprechen die Fakten für Einstein und gegen Hilbert.

Homo Lykos:

Übrigens: Warum hat die Sache mit der Urkundenfälschung bzw. Beschädigung zu Betrugszwecken eigentlich niemand an die Staatsanwaltschaft übergeben? Ich nehme an, dass bekannt ist, wer alles in diese Unterlagen Einblick erhalten hatte.

Aus Angst, dass die ganze Verschwörungstheorie zur Rettung von Hilberts Priorität dann wie ein Kartenhaus zusammenbrechen dürfte.

Wolfgang G.:

Die Aufgabe des "Einstein-Lagers" hätte darin bestanden, alle Zeugnisse dafür, dass Hilbert die "richtigen" Gleichungen schon von Mitte November bis zum 3. Dezember kannte, zu vernichten. Eine einzige Erwähnung in einem Brief von Hilbert dieser so sehnlich gesuchten Gleichungen oder eine einzige Mitschrift eines Vortrags von Hilbert zu diesem Thema hätte die Vernichtung aller anderen Zeugnisse nutzlos gemacht.

Homo Lykos:

Ja, wie das Born-Zitat unten belegt.

Das Born-Zitat belegt nichts. Wenn Born in einem wohlwollenden bis schmeichelhaften Brief an Hilbert schreibt, er halte Einsteins "Betrachtung" für einen Spezialfall der Hilbertschen, dann könnte das auch nur das Echo Hilberts sein. Wenn aber Hilbert zu diesem Zeitpunkt schon richtig, Einstein aber noch falsch gelegen wäre, dann wäre Einsteins Betrachtung doch wohl auch kein Spezialfall der Hilbertschen.

Und dass Einstein es in mancher Hinsicht so empfand, als folge ihm Hilbert immer dicht auf den Fersen, wissen wir schon.

Wolfgang G.:

Aber gegen diese Hypothese einer Verschwörung des "Hilbert-Lagers" spricht, dass es dann sicher den ganzen Probedruck vom 6. Dezember vernichtet hätte und nicht nur ein paar Zeilen. In diesem Falle würden wir nämlich weiter glauben, dass Hilberts veröffentlichte Version im Wesentlichen mit der am 20. November eingereichten übereinstimme und Hilbert die Priorität zukomme.

Homo Lykos:

Nein, die Vernichtung der ganzen Druckfahnen wäre praktisch unmöglich gewesen, ohne entdeckt zu werden, ausser man nimmt an, dass das Archivpersonal in die Sache verwickelt war.

Interessant.

Das Buch von Wuensch liefert starke Indizien dafür, dass der Wegschnitt schon da war, als Hilbert "3 Blätter" genau dieses Probedrucks am 7.3.1918 an Felix Klein schickte. Nur die Annahme einer ziemlich unplausiblen Verschwörung, die erst nach 1985 machbar gewesen sein dürfte, kann diese Indizien noch entkräften.

Wolfgang G.:

Und du kennst natürlich den "wirklichen Einstein"!

Homo Lykos:

Ich weiss nicht, wie viel Sie über Einstein schon gelesen haben. Ich habe aber genug gelesen, um mir ein Bild machen zu können, insbesondere meine ich zeigen zu können, dass man seiner berühmten Arbeit über die SRT noch deutlich ansehen kann, dass er die Ideen von Poincaré übernommen hatte, ohne ihn aber zu zitieren und auch ohne ihn voll verstanden zu haben.

Der Fall Einstein-Poincaré ist analog zum Fall Hilbert. Es gibt eine Konfusion zwischen:

1)      Sur la Dynamique de l'Électron, Comptes rendus hebdomadaires des séances de L'Académie des sciences, Volume 140, (5 June 1905), pp. 1504-1508

2)      Sur la Dynamique de l'Électron, _Rendiconti del Circolo matimatico di Palermo_, Volume 21, (1906, submitted July 23rd, 1905)

Homo Lykos:

Ansonsten habe ich hier weiter unten bereits auf seine geradezu niederträchtige Einstufung seines Freundes Grossmann gegenüber Sommerfeld hingewiesen.

Das betreffende Zitat (Einstein am 15. Juli 1915 an Sommerfeld)

"Grossmann wird niemals darauf Anspruch machen, als Mitentdecker zu gelten. Er half mir nur bei der Orientierung über die mathematische Literatur, trug aber materiell nicht zu den Ergebnissen bei." Wuensch, S.83

mag unglücklich formuliert sein. Aber soviel ich weiss, hat Grossmann auch niemals Anspruch erhoben, als Mitentdecker zu gelten. Zudem müsste man den Kontext kennen, in dem diese Aussage gemacht wurde. Vielleicht war diese Aussage ja mehr als versteckte Kritik an Hilbert denn als eine "Einstufung" eines Freundes gedacht.

Wolfgang G.:

Zusammengefasst: Bei Annahme (17) erhalten die Gravitationsgleichungen (4) die Gestalt (26).

Also wenn "Annahme (17)" die gesuchten ART-Gleichungen gewesen wären und Hilbert sie als solche erkannt hätte, hätte er sicher ganz anders argumentiert.

Homo Lykos:

Ich habe in meiner Argumentation an dieser Stelle ganz bewusst KEINE Spekulationen darüber angestellt, was *inhaltlich* herausgeschnitten wurde, weil dies für meine hier gemachten Schlussfolgerungen völlig unerheblich ist.

Unerheblich? Eine mir fremde Logik hast du, mein lieber Homo Lykos!

Wolfgang G.:

Wenn man "Annahme (17)" als die damals intensiv gesuchten Gleichungen interpretiert, dann ....

Homo Lykos:

Das hat damit eben überhaupt nichts zu tun!

Die einzige Möglichkeit Hilberts Priorität zu retten besteht in der Annahme, dass in den paar verschwundenen Zeilen um "Annahme (17)" die Einstein-kompatiblen ART-Gleichungen standen. Und wenn diese Möglichkeit allzu unplausibel erscheint, dann ist das Fehlen dieser paar Zentimeter Text für die Schlussfolgerungen von Corry, Renn und Stachel unerheblich.


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