Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik

Den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik könnte man als eines der zentralsten Dogmen des modernen wissenschaftlichen Weltbilds ansehen. Obwohl nirgends im uns bekannten Weltall Temperaturunterschiede dauerhaft verschwinden, gilt dieser Hauptsatz als wichtige Erkenntnis für die Evolution des Weltalls. Indem Verschwinden von Temperaturunterschieden mit Verschwinden von Ordnung gleichgesetzt wird, wird dieser Hauptsatz als Entropiesatz zur Antithese einer finalistischen Weltsicht.

Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, 10 Liter Wasser auf 10 identische 10-Liter-Kübel zu verteilen. Die gleichmässige Verteilung der 10 Liter auf alle Kübel ist sicher die Verteilung, die sich vor allen anderen Verteilungen auszeichnet. (Wenn man die 10 Liter auf einen einzigen Kübel verteilt, gibt es schon 10 Möglichkeiten, von denen sich keine vor den anderen auszeichnet). Wenn mi die Wassermenge des Kübels i ist, ist bei der Gleichverteilung der Wert von 1 / [1/m1 + ... + 1/m10] maximal. Wenn man den Wert dieser Formel als Verteilungsentropie bezeichnet, ist die Gleichverteilung die Verteilung mit der höchsten Verteilungsentropie.

In einem thermisch von der Umgebung isolierten Körper sind bei einer konstanten thermischen Energie unendlich viele Temperaturverteilungen möglich. Man kann sich fragen, ob alle möglichen Temperaturverteilungen gleich willkürlich sind oder ob es solche gibt, die weniger willkürlich und somit vor anderen ausgezeichnet sind. Auch wenn jedes allgemeine Schema, mit dem Temperaturverteilungen nach deren Willkür geordnet werden können, wiederum von willkürlichen Prämissen abhängt, gibt es doch eine Temperaturverteilung, die sich unabhängig von solchen Prämissen vor allen anderen auszeichnet, nämlich die Gleichverteilung.

Dass genau diese am wenigsten willkürliche Temperaturverteilung als die Temperaturverteilung mit der grössten Unordnung bezeichnet wird, ist vielleicht der sonderbarste Widerspruch des modernen wissenschaftlichen Weltbilds und zeigt, wie willkürlich Begriffe wie 'Ordnung', 'Unordnung' oder 'Chaos' angewandt werden können. Wenn sich aus den dem zweiten Hauptsatz zugrundeliegenden Fakten eine allgemeine Aussage über Ordnung oder Unordnung stützen lässt, dann folgende: <Die Natur strebt nach der höchsten sinnvollen Ordnung.> Eine von der Gleichverteilung abweichende Temperaturverteilung eines Körpers kann im Zusammenhang mit dem Umfeld des Körpers höher geordnet sein als die Gleichverteilung. Sobald der Körper aber von diesem Umfeld thermisch isoliert wird, wird die bisherige Temperaturverteilung genauso willkürlich wie jede beliebige andere.

Der Entropiesatz ist ein schönes Beispiel dafür, dass wissenschaftliche Glaubenssätze wie religiöse kaum empirisch widerlegbar sind. Dass eine interstellare Staubwolke weniger geordnet ist als ein Planetensystem, entspricht dem gesunden Menschenverstand. Aus dem Entropiesatz folgt das Gegenteil. Aus diesem Satz folgt auch, dass ein frisch geschlüpftes Küken weniger geordnet ist als ein rohes Hühnerei, denn bei konstanter Aussentemperatur können im Ei nur Prozesse ablaufen, bei denen die Entropie (Unordnung) zunimmt.

Auch der Zuwachs an geordneten Strukturen im Laufe der Evolution kann den Entropiesatz nicht widerlegen. Die Erde ist kein geschlossenes System sondern erhält Energie von aussen, praktisch zu 100% von der Sonne. Um den Entropiesatz zu retten, wird für die Sonne eine Zunahme an Unordnung postuliert, die grösser ist als die offensichtliche Zunahme an Ordnung auf der Erde.


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