Ein Gedankenexperiment, das im Rahmen der speziellen Relativitätstheorie auf einen Widerspruch führt

Zwei Raumschiffe mit gegenseitigem Abstand von 1 Lichtjahr werden so positioniert, dass beide in einer Entfernung von 20 Lichtjahren von der Sonne relativ zu dieser ruhen (es ergibt sich ein gleichseitiges Dreieck). Da sich die Raumschiffe im gleichen Bezugssystem befinden, lassen sich ihre Uhren mit einer Uhr auf der Sonne synchronisieren.

Das Paradox entsteht nun, wenn beide Raumschiffe gleichzeitig in Richtung ihrer Verbindungslinie (also tangential zur Sonne) beschleunigen, und zwar immer gleich stark (in die gleiche Richtung) und während dergleichen Zeitdauer. Bei einer Beschleunigung von 40 m/s2 (bezogen auf das mit der Sonne verbundene Bezugssystem) hat ein Raumschiff in etwa 52 Tagen 60% der Lichtgeschwindigkeit erreicht und ungefähr die Strecke von einem halben Lichtmonat zurückgelegt. Von der Erde aus betrachtet kann man die Bewegung der Raumschiffe mit einer Verzögerung von 20 Jahren beobachten.

Weil beide Raumschiffe vor Beginn der Beschleunigung synchronisierte Uhren haben, und während der gleichen Dauer in gleicher Weise beschleunigt werden, widerspricht die Annahme, dass die Raumschiffe nach der Beschleunigung verschiedene Geschwindigkeiten besitzen, oder ihre Uhren verschiedene Zeiten anzeigen, der Homogenität und Isotropie des Raumes.

Somit haben wir jetzt zwei Inertialsysteme: das der Sonne und das der Raumschiffe. Die beiden Systeme bewegen sich mit 0.6 c relativ zueinander. Für diese Geschwindigkeit sagt die spezielle Relativitätstheorie eine Längenverkürzung auf 80% voraus.

Die Frage ist nun: Verkürzt sich für den Beobachter auf der Erde während dieser Beschleunigungsphase der Abstand zwischen den beiden Raumschiffen oder verlängert sich dieser im Bezugssystem der Raumschiffe?

Die Annahme, dass sich der Abstand für den Erdbeobachter verkürzt, setzt ein Verkürzungszentrum voraus, was der Homogenität des Raumes widerspricht. Nimmt man z.B. die Mitte zwischen den beiden Raumschiffen als Verkürzungszentrum an, so ergäbe sich für den Erdbeobachter folgende absurde Konsequenz: das vordere Raumschiff würde sich rückläufig bewegen (obwohl es vorwärts beschleunigt), denn während der Beschleunigungsphase käme der Mittelpunkt einen halben Lichtmonat weiter, aber gleichzeitig würden sich beide Raumschiffe diesem Punkt um 1.2 Lichtmonate nähern.

Jetzt bleibt nur noch die Möglichkeit, dass der Abstand zwischen den beiden Raumschiffen für den Erdbeobachter gleich bleibt. Somit folgt, dass sich dieser im Bezugssystem der Raumschiffe absolut auf 125% (Kehrwert der Längenverkürzung) strecken muss. Jedoch auch diese Konsequenz lässt sich leicht ad absurdum führen, da es das Bezugssystem der Sonne verabsolutiert.


 
                        Inertialsystem S
 
                                                   ¦  1.1.1991
                                                   V  Raumschiff 2
     1.1.1991                                      ¦  v = 0
        o                                          ¦  
      unser                                        ¦  1.1.1991
   Sonnensystem                                    V  Raumschiff 1
                                                   ¦  v = 0
                                                   ¦

Zustand vor der Beschleunigungsphase: Beide Raumschiffe befinden sich relativ zu unserem Sonnensystem in Ruhe; Datum und Uhrzeit lassen sich exakt synchronisieren.


Beschleunigungsphase: Beide Raumschiffe beschleunigen gleichzeitig während 52 Tagen mit 40 m/s2 (alle Angaben bezogen auf S-System).


 
   Inertialsystem S                               Inertialsystem S'
 
                                                   ¦
                                                   ¦  18.2.1991
    22.2.1991                                      V  Raumschiff 2
        o                                          ¦  v = 0.6 c  
      unser                                        ¦  
   Sonnensystem                                    ¦  18.2.1991
                                                   V  Raumschiff 1
                                                   ¦  v = 0.6 c

Zustand nach der Beschleunigungsphase: Beide Raumschiffe zeigen gleiches Datum und gleiche Uhrzeit an und bewegen sich mit 60% der Lichtgeschwindigkeit relativ zu unserem Sonnensystem.


Frage zur relativistischen Längenkontraktion: Hat sich der Abstand zwischen den Raumschiffen im System S verringert oder im System S' vergrössert?


Ist mit diesem Paradox die spezielle Relativitätstheorie widerlegt? Um diese Frage zu klären, überlegt man sich am besten, wieso in dieser Theorie ein 1 Lichtjahr langer Körper, der sich in einer Entfernung von 20 Lichtjahren mit 60% der Lichtgeschwindigkeit relativ zu unserem Sonnensystem bewegt, Beobachtern auf der Erde verkürzt erscheinen muss.

Wir haben zwei Inertialsysteme: Das des Sonnensystems S und das des bewegten Körpers S'. Die Lorentz-Transformations-Gleichungen für die relative Geschwindigkeit von 0.6 c nehmen folgende Differenzen-Form an:

 
   Dx' = 1.25 [Dx  - 0.6 c Dt]      [ 1a ]
   Dt' = 1.25 [Dt  - O.6/c Dx]      [ 1b ]
 
   Dx  = 1.25 [Dx' + 0.6 c Dt']     [ 2a ]
   Dt  = 1.25 [Dt' + O.6/c Dx']     [ 2b ]

Da die Ruhelänge des Körpers im bewegten System S' 1 LJ beträgt, könnte man bei oberflächlicher Betrachtung glauben, dass aus Gleichung [2a] eine Streckung um den Faktor 1.25 (also auf 1.25 Lichtjahre) für das S-System folgt. Es ist aber genau das Gegenteil der Fall, nämlich es ergibt sich eine Verkürzung auf 0.80 (Kehrwert von 1.25).

Die Streckung kommt zustande, wenn man von Gleichzeitigkeit im S'-System ausgeht. Was für dieses System gleichzeitig ist, ist es aber nicht für das S-System. Aus Gleichung [2b] folgt, dass der Zeitunterschied im S-System bei Gleichzeitigkeit im S'-System (d.h. Dt' = 0) eine Funktion der Raumkoordinate Dx' ist:

 
   Dt(Dx') = 1.25 [O.6/c Dx']       [ 3 ]

Für den 1 Lichtjahr langen Körper (d.h. Dx' = 1 LJ) ergibt sich so eine Zeitverschiebung von 0.75 Jahren, also 9 Monaten. Werden im S'-System beide Enden des Körpers gleichzeitig betrachtet, so bedeutet das für das S-System eine Länge von 1.25 LJ, aber z.B. 22.2.1991 am hinteren und 22.11.1991 am vorderen Ende.

Will man die effektive Länge im S-System, so muss man von Gleichzeitigkeit in diesem System ausgehen. Da sich das vordere Ende des Körpers 9 Monate länger als das hintere mit der Geschwindigkeit von 0.6 c bewegt hat, muss die in diesem Zeitraum nur vom vorderen Ende durchlaufene Stecke von den 1.25 LJ abgezogen werden:

 
   Laenge = 1.25 LJ - [0.75 Jahre ∙ 0.6 c] = 0.8 LJ    [ 4 ]

Hat man dieses Prinzip der Längenverkürzung verstanden, so werden sofort die Ursachen des obigen Paradoxons klar. Was vor der Beschleunigung im System der Sonne S gleichzeitig ist, ist es auch im System der beiden Raumschiffe, weil es sich noch um dasselbe Inertialsystem handelt. Durch die identische Beschleunigungsphase der beiden Raumschiffe wird zu jedem Zeitpunkt (im System S) gewährleistet, dass in beiden Raumschiffen die gleiche Zeit verstreicht. Am Ende dieser Phase ergibt sich dann die mit den Lorentz-Tranformations-Gleichungen unvereinbare Situation: Was im S-System gleichzeitig ist, muss zwangsläufig auch für die zwei Raumschiffe gleichzeitig sein, obwohl sich diese an zwei verschiedenen Raumpunkten des S'-Systems befinden.

Es scheinen diejenigen recht zu behalten, die die Meinung vertreten haben, dass die spezielle Relativitätstheorie nicht angewandt werden kann, sobald beschleunigte Bewegungen mit im Spiel sind (oder waren). Das bedeutet folgendes: Die Lichtgeschwindigkeit kann theoretisch für das Sonnensystem und eine Raumschiff-Karawane, die aus dem Unendlichen kommt, am Sonnensystem vorbeifliegt und wieder im Unendlichen verschwindet, identisch sein. Sie kann es aber nicht, wenn die Karawane vorher beschleunigt wurde.


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