Auszüge aus Briefen

Vorbemerkung: Bei der Auswahl der Auszüge habe ich mich bemüht, Redundanz möglichst zu vermeiden. Da aber andererseits die zeitliche Entwicklung von Gedanken und Erkenntnissen dazu beiträgt, diese besser verständlich zu machen, habe ich manchmal Inhalte übernommen, die in späteren Texten wieder auftauchen. Bis auf Grussformeln habe ich alle Weglassungen durch ' . . . ' gekennzeichnet. Bis auf orthographische Korrekturen, Formatierung und kleinste Anpassungen wurden keine Änderungen vorgenommen.


29.1.88

. . .

Leider sind meine physikalischen Kenntnisse noch ziemlich rudimentär. Obwohl mich die Physik schon als Kind begeistert hat, und ich zudem eine technische Ausbildung hinter mir habe, bin ich der gesamten Hochschul-Physik immer geschickt aus dem Wege gegangen. Erst nach der Erkenntnis, dass das bildlich-anschauliche Denken dem abstrakt-formalen Denken überlegen ist, habe ich mich erneut mit Physik beschäftigt. Da ich eben erwähnter Erkenntnis grosse Bedeutung zumesse, möchte ich hier noch kurz darauf eingehen.

Man kann (z.B. in Meyers Enzyklopädischem Lexikon in 25 Bänden) nachlesen, dass das abstrakt-unanschauliche Denken durch die höchste (von drei Stufen) Form der Repräsentation gekennzeichnet sein soll. Dass sich diese Ansicht im Laufe der Geschichte durchgesetzt hat, ist allzu verständlich. In früheren Zeiten haben sich nur Wissenschaftler, nicht aber das gewöhnliche Volk, als Meister dieser Denkform erwiesen. Inzwischen hat sich die Situation dadurch geändert, dass Maschinen (Computer) das abstrakt-formale Denken bestens beherrschen, jedoch weit von dem entfernt sind, was man auch nur annähernd als "ganzheitliche Vorstellung" bezeichnen könnte.

. . .

Weiters bekundeten sie in ihrem Brief noch Interesse am Ausdruck 1/√[1-v2/c2] des Kapitels 3.2. Da mir der ganze Kontext dieser Stelle sehr bedeutsam erscheint, denn es handelt sich hier möglicherweise um den eigentlichen Ursprung der Zeitdilatation und des Zwillingsparadoxons, habe ich bis jetzt gehofft, eine detaillierte Analyse davon als Beilage zu diesem Brief anfertigen zu können. Obwohl eigentlich kaum mehr als der Satz des Pythagoras zur Anwendung kommt, ist mir dieses Unterfangen noch nicht gelungen.

Ich habe aber inzwischen festgestellt, dass bei dem Versuch,

mit folgenden Annahmen

sich ergibt, dass das Licht von der Sonne aus betrachtet bei Eintritt in den Wirkungsbereich der Erde sich verlangsamt (zur daraus resultierenden Zeitverlangsamung bei Postulierung der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit komme ich dann weiter unten):

cvonSonneBetrachtet = √[c2-v2] = c ∙ √[1-v2/c2]

Dass das gilt, hat folgenden Grund: damit das Licht sich für die Sonne geradlinig ausbreiten kann, muss die Einfallsrichtung so sein, dass der Erdbewegung entgegengewirkt wird. Das geht theoretisch natürlich nur solange, als die Umlaufgeschwindigkeit der Erde kleiner als c ist. Ich habe dazu die beigelegte Skizze angefertigt.

Aus dieser Skizze ist auch ersichtlich, dass sich das Licht für die Erde mit einer Geschwindigkeit von √[c2+v2] ausbreitet, solange es sich noch im Wirkungsbereich der Sonne befindet. Es ergeben sich also zwei verschiedene Aberrationswinkel für die Erde. Daraus folgt, dass das Licht für die Erde nicht exakt gerade sein kann. Nähme man für die Erde geradlinige Lichtausbreitung an, so ergäbe sich krummlinige für die Sonne.

Da es aber ein bevorzugtes Bezugssystem gemäss dem Galileischen Relativitätsprinzip nicht zu geben scheint, ergeben sich unüberwindbare Probleme beim Versuch, den effektiven Verlauf von Lichtstrahlen zu bestimmen. Ich fasse das hier kurz zusammen:

1.      Nimmt man geradlinige Lichtausbreitung für ein Bezugssystem an, so ergeben sich (aufgrund der Anpassung der Lichtgeschwindigkeit an das jeweilige Bezugssystem) verschieden krumme Ausbreitungen für alle anderen Bezugssysteme.

2.      Es gibt kein bevorzugtes (absolutes) System, auf das bezogen sich das Licht geradlinig ausbreiten könnte.

3.      Versucht man es mit der Annahme, dass auch die Ausbreitungsrichtung des Lichts sich den Objekten (z.B. Sonne und Erde) anpasst (und zwar so wie die Geschwindigkeit), so könnte es keine Aberration mehr geben.

Es scheint in dieser Betrachtungsweise keine vernünftige Lösung zu geben. Da zudem vom mathematischen Standpunkt die Annahme krummliniger Lichtausbreitung nicht die eleganteste ist, so ist es eigentlich verständlich, dass sich die Relativitätstheorie so grosser Beliebtheit erfreut. In dieser wird das Problem ganz einfach gelöst, und zwar indem, wie Sie es so schön ausdrücken, ein System -- wenn auch nur bezogen auf das andere -- als absolut angesehen wird (mit konstanter Lichtgeschwindigkeit und geradliniger Lichtlichtausbreitung) und die Absolutheit dieses Systems dann mit dem anderen System verglichen wird. Die daraus resultierenden Widersprüche werden zum Relativismus mystifiziert, der über die Vorstellungskraft der Menschen gehen soll.

Das Problem der Lichtausbreitung lässt sich meiner Meinung nach nur auf eine Art und Weise widerspruchsfrei lösen.

1.      Man muss den Gedanken der gleichberechtigten Inertialsysteme im Galileischen Sinn aufgeben; ein System ist umso bevorzugter, je mehr Masse es besitzt.

2.      Sowohl die Lichtgeschwindigkeit, wie auch die Richtung der Lichtausbreitung müssen in Beziehung zu den umgebenden Massen stehen.

3.      Die Lichtgeschwindigkeit bezieht sich eher auf die lokalen Materieansammlungen (z.B. in Erdnähe auf die Erde).

4.      Die (geradlinige) Ausbreitungsrichtung bezieht sich eher auf die grossräumigen Massenverteilungen (z.B. auf die Milchstrasse).

Die einfachste mathematische Lösung, die ich mir für dieses Problem vorstellen kann, ist natürlich die, dass die Ausbreitungsrichtung des Lichts (sowie alle Trägheitsbewegungen) dem "Abhängigkeitsraum" folgt, und die Lichtgeschwindigkeit sich auf den "Schwingungsraum" bezieht, und zwar aus folgenden Gründen:

1.      Alle Materieteilchen wirken sich qualitativ gleich aus; die Wirkung eines jeden Körpers ergibt sich simpel aus der Überlagerung der einzelnen Materieteilchen.

2.      Man benötigt im Prinzip nur eine Abnahmefunktion; diese ist gültig sowohl für Gravitationsbeschleunigung als auch die Erzeugung des "Schwingungsraumes"; das Integral dieser Funktion dient zur Erzeugung des "Abhängigkeitsraumes".

Ich komme nun zurück auf die Zeitdilatation, die sich aus oben beschriebenem Experiment ergibt. Analysiert man das Problem im klassischen Sinne, so kann man zu keinem anderen Schluss kommen, als dass bei Reflexion auf der Erde folgendes gilt:

cvonSonneBetrachtet = √[c2-v2] = c ∙ √[1-v2/c2]

Für den Erdbeobachter ist die Lichtgeschwindigkeit jedoch die normale:

caufErde = c

In jedem Zeitraum t ergeben sich folgende zurückgelegte Strecken:

saufErde = t ∙ c

svonSonneBetrachtet = t ∙ c ∙ √(1-v2/c2)

Zum Verhältnis dieser zwei Strecken kommt man auch über den Aberrationswinkel. Es sollte Ihnen besser durch die beigelegte Skizze verständlich werden.

Postuliert man jetzt hier, dass beide (unterschiedlich langen) Strecken im gleichen Zeitraum mit der gleichen Geschwindigkeit durchlaufen werden, so folgt:

saufErde / tErde = svonSonneBetrachtet / tSonne

und damit die Konsequenz

tErde = tSonne /√(1-v2/c2)

. . .

Auf jeden Fall ist es überaus bedeutsam, die physikalischen Fehler bei der Herleitung der Lorentz-Transformations-Gleichungen zu kennen. Da aber die Erfahrung uns lehrt, dass man Leute nur schwer damit überzeugen kann, indem man ihnen die Fehler ihrer Ansichten direkt aufzuzeigen versucht, müsste man vielleicht eher versuchen, zu erklären, warum die L.-T.-G. mathematisch funktionieren, worin ihre Eleganz und ihre Effizienz liegen, und danach ihre physikalischen Grenzen aufzeigen. Ein wesentlicher Punkt scheint mir dabei, dass man die L.-T.-G. prinzipiell genauso gut und genauso schlecht wie für die Lichtgeschwindigkeit für jede andere Geschwindigkeit funktionieren, die man per Postulat zur Grenzgeschwindigkeit erhebt.

Man sollte meiner Meinung stark von der geschichtlichen Entwicklung ausgehen. Es ist erstaunlich, dass sowohl bei einer Analyse der Aberration z.B. des Sonnenlichts, wie auch bei der Kontraktionshypothese von Lorentz und Fitzgerald zur Erklärung des M.-M.-Experiments, es zum Ausdruck 1/√(1-v2/c2) kommen kann. Im ersten Fall (Lichtausbreitung senkrecht zur Bewegungsrichtung) handelt es sich um eine Zeitdilation um diesen Faktor und im zweiten (Lichtausbreitung parallel zur Bewegungsrichtung) um eine Kontraktion des Raumes um denselben Faktor.

Die Kontraktionshypothese alleine kann noch nicht erklären, warum die Lichtgeschwindigkeit in Bewegungsrichtung der Erde um die Sonne und entgegengesetzt dazu gleich gross ist. Dieses Problem kann man dadurch lösen, dass man auch die Zeit in Abhängigkeit des Ortes (und zwar unterschiedlich in Bewegungsrichtung und entgegengesetzt dazu) transformiert. Das führt dann automatisch dazu, dass Gleichzeitigkeit vom Beobachtungsstandort (z.B. Sonne oder Erde) abhängt.

Schliesslich lässt sich all das auch noch elegant (sicher unter Nicht-Berücksichtigung einiger physikalischer Regeln) zu den L.-T.-Gleichungen zusammenfassen, deren wichtigste Eigenschaft darin besteht, dass man die Gleichung für die Ausbreitung einer sphärischen elektromagnetischen Welle im System S

x2 + y2 + z2 = c2t2

zur Gleichung

x'2 + y'2 + z'2 = c2t'2

im System S' mathematisch umformen kann. Dass dies aber funktioniert, ist wahrscheinlich trivial. ...

. . .

Dass die L.-T.-G. physikalisch unsinnig sind, ergibt sich zwangsläufig aus dem Zwillingsparadox. Bei zwei Uhren kann immer nur eine langsamer laufen als die andere, keinesfalls aber beide langsamer als die jeweils andere. Dieses Paradox soll anscheinend gelöst worden sein. Dass die Zeitverlangsamung absolut und nicht relativ ist, zeigen auch alle Versuche in Teilchenbeschleunigern oder Versuche mit auf hohe Geschwindigkeiten gebrachten Uhren. Bei letzteren gehen die bewegten Uhren nach, man kann die angezeigten Zeiten ja nach der Bewegung vergleichen. Wer könnte da noch behaupten, dass von den bewegten Uhren aus gesehen die Zeit der ruhenden langsamer geht.

. . .


la 22-an de majo 88

...

Tre versxajne la longjara ricevado de BI estas la sola kawzo, ke mi ne perdis la kontakton kun Esperanto. Tial mia lingvo-scio povis resti cxiam sur tiu minimuma nivelo, kiu estas necesa por profiti de lingvo, permesante la legadon de ne-literaturaj tekstoj kaj la diskuton pri ne tro malfacilaj temoj.

Gxuste la lastan semajnon mi finis mian laboron kiel komputista ingxeniero en lihxtensxtejna entrepreno apartenanta al usona konzerno. Mi neniam vere sxatis la informadikon, kaj ekde nun mi intencas nur partopreni projektojn kiel libera kunlaboranto per gajni la monon necesan por la vivteno.

Sed antawe mi vojagxos al Portugalio kaj suda Ameriko por lerni pri aliaj viv-manieroj kaj plibonigi miajn lingvosciojn.

En Oktobro mi studos denove en Zürich, sed tiufoje la teorian fizikon. Mi certas ke multaj teorioj (kiel ekzemple tiuj de Einstein) estas nuraj matematikaj aproksimacioj adekvataj por la plejparto de la gxis nun per-eksperimente mezureblaj efektoj, sed ke tiuj teorioj estas principe falsaj.

La fundamenta eraro estas la trotakso de la formala aspekto. Ekzemple oni gloras la belecon de la bazaj Einsteinaj formuloj, kaj defendas ties absurdajn konsequencojn proklamante la sanan prudenton (komunan sagxon) ne-kompetenta kaj naiva. Tiu-rilate la historiaj radikoj devenas de la antikaj grekoj, kiuj komencis formaligi la sciencajn spertojn (la logiko fare de Aristoteles kaj la geometrio de Euklid).

La mia-opinie plej grava 'avantagxo' de tia formala sistemo estas jena: Ebligas lernigi al homoj (en artefarita inteligento ankaw al komputiloj) ian procedon sen la neceso de superrigardo.

Alia problemo estas, ke novaj teorioj plejparte estas konstruataj sur la malnovaj antaw-cxargxitaj de ties konceptoj kaj nocioj. Ekzemple Einstein estas tiasence la logika sekvo de Galilei kaj Newton.

La jxus menciita argumento estas valida ankaw por la lingvoj. Ili farigxis/as pli kaj pli komplikaj, la esceptoj pliigxis/as kaj detruis/as la harmonian bazan lingvo-strukturon. Miaopinie la homaro povas kvalite progresi nur tiukaze, se ni konsciigxas pri nia pensado. Kaj nia pensado dependas grandparte de nia(j) lingvo(j). Do ansxtataw disputi, kio estas real(ec)o, ver(ec)o, la mondo, Dio k. t. p., oni devas 'krei' nociojn (vortojn) kiuj estas klaraj. Tio farendas per la samaj principoj, per kiuj estigxis la nocioj dum la evoluo de la naturaj lingvoj (sed ne, per kiuj la samaj nocioj modifigxis kaj nebuligxis). Evitendas bazigxi sur la nocioj kaj vortoj ekzistantaj en la nuntempaj lingvoj.

Ankoraw pli grava ol la nocioj/vortoj estas la lingvo-strukturo. Gxi estu sintezo de la konceptoj de cxiuj konataj lingvoj kaj gxi strukturitu hierakie, permesante korektan lingvo-uzadon, etendigxanta de tre simplaj frazoj (kiel ekzemple: morgaw mi-scii, cxu hieraw vi-esti en-domo) gxis esprimivo de ja plej finaj nuancoj. Tia strukturo ebligas la aplikadon de la lingvo en la tuta skalo de la plej malaltaj gxis la plej altaj sociaj tavoloj, kaj same ebligas gxian tawgecon por scienca kaj filozofia uzo.

Mi plene konscias, ke la celaro kiun mi alstrebas ne facile atingeblas, sed mi kredas je tiu forto, kiu nomeblas aw espero aw optimismo.

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7.11.88

entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie weiter mit meiner Kritik der modernen Physik belästige. Aber ich glaube, dass Sie wegen Ihrer realitätsbezogenen Einstellung zu Physik und Mathematik der ideale Gesprächspartner sind, der entweder die Inkonsistenz meiner Argumentation aufzeigen oder, was mindestens so wichtig ist, sich von anschaulichen Argumenten überzeugen lassen kann. Ich hoffe, dass Sie das Ganze nicht als lästigen Kampf eines Insiders (Professor der Mathematik und theoretischen Physik) gegen einen Outsider (Informatik-Ingenieur EPFL, z.Z. Student) betrachten, sondern als gemeinsamen Erkenntnisprozess philosophisch an der Welt interessierter Menschen.

Thomas S. Kuhn hat in 'Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen (leider wahrscheinlich zu Recht) die These vertreten, dass naturwissenschaftliche Theorien nicht effektiv widerlegt werden können, wie es Popper angenommen hat.

Normalerweise sollte eine Theorie durch einen Spezialfall, der in ihrem Rahmen auf einen Widerspruch führt, widerlegt werden. In Sachen 'Spezielle Relativitätstheorie mit beschleunigten Bewegungen ausgedehnter Körper' tritt jedoch genau das Gegenteil auf. Hier gibt es einen einzigen Fall (proper acceleration / rigid motion), bei dem es nicht sofort zu einem Widerspruch kommt (zumindest bei oberflächlicher Betrachtung). Durch diesen zudem höchst sonderbaren Spezialfall wird dann die ganze Theorie künstlich am Leben erhalten. Ich werde weiter unten noch darauf zurückkommen.

Mein Gedankenexperiment mit den zwei Raumschiffen ist prinzipiell realisierbar (zwar mit sehr grossem technischen Aufwand). Wenn man seine Konsequenzen ablehnt, muss irgend einer der folgenden Schritte unzulässig sein.

1.      Zwei identische Raumschiffe können je in 20 LJ Entfernung von unserem Planetensystem so positioniert werden, dass sie in einem gegenseitigen Abstand von 1 LJ zur Ruhe kommen.

2.      Alle Uhren lassen sich synchronisieren (z.B je 1.1.1991).

3.      Beide Raumschiffe können in einer Weise auf je 0.6 c beschleunigt werden, sodass sich die Beobachtung von Raumschiff 1 durch Beobachter 1 und die Beobachtung von Raumschiff 2 durch Beobachter 2 zu jedem Zeitpunkt (System S) decken.

 
           Inertialsystem S
 
                               ¦  1.1.1991
   +  Beobachter 2             V  Raumschiff 2
                               ¦  v = 0
   o  Sonnensystem             ¦  
                               ¦  1.1.1991
   +  Beobachter 1             V  Raumschiff 1
                               ¦  v = 0
                               ¦
 

4.      Beide Raumschiffe bewegen sich nach der Beschleunigung im selben Inertialsystem genannt S'.

5.      Die Frage nach dem Abstand der beiden Raumschiffe im System S ist im Rahmen der speziellen Relativitätstheorie sinnvoll und zulässig.

6.      Die Frage nach dem Abstand der beiden Raumschiffe im System S' ist im Rahmen der speziellen Relativitätstheorie sinnvoll und zulässig.

7.      Der Abstand kann wegen der relativen Geschwindigkeit von 0.6 c nicht in beiden Systemen der gleiche sein.

8.      Der Abstand muss sich mindestens in einem System verändert haben.

9.      Die Frage, welche(r) Abstand (Abstände) sich verändert hat (haben), ist im Rahmen der speziellen Relativitätstheorie sinnvoll und zulässig.

Die Frage nach dem Ruheabstand im System S' hat folgende konkrete Bedeutung: Ein Raumschiff schickt ein Signal zum anderen und wartet, bis es von dort reflektiert wird. Wenn das Signal nach 2 Jahren (bezogen auf die eigene Raumschiffuhr) zurückkommt, beträgt der Abstand 1 LJ. Nach dem vierten Punkt kann man noch folgendes einfügen:

1.      Nach Ausschalten der Triebwerke kann Raumschiff 1 seine Uhrzeit dem Beobachter 1 und Raumschiff 2 seine Uhrzeit Beobachter 2 senden (Signal benötigt je etwa 20 Jahre).

2.      Beobachter 1 und 2 erhalten Signal gleichzeitig (System S).

3.      Beide Beobachter erhalten mit dem Signal die gleiche Uhrzeit.

Wenn die Beschleunigung 40 m/s2 bezogen auf das S-System beträgt und für Beobachter 1, 2 und für die Erde vom 1.1.1991 bis zum 22.2.1991 dauert, so wird Beobachter 1 von Raumschiff 1 folgende Uhrzeit (Datum) mit dem Signal zugeschickt bekommen:

1.1.1991 + INTEGRAL von 1.1.1991 bis 22.2.1991 über √[1-v[t]2/c2]dt = 18.2.1991

Beobachter 2 erhält von Raumschiff 2 dieselbe Uhrzeit. Die Zeichnung 'Zustand nach der Beschleunigungsphase' auf Seite 2 des Raumschiffparadoxons ist somit korrekt. Es wird dabei gleichzeitige Betrachtung im S-System vorausgesetzt.

Sie haben mir am Freitag angetönt, dass man mit Beschleunigungen in der Relativitätstheorie nicht so verfahren kann, wie ich es im Raumschiffparadox getan habe. Mir ist natürlich bekannt, dass in dieser Theorie ausgedehnte Körper nicht starr beschleunigt werden können. Aber genau deshalb habe ich daraus zwei Körper gemacht, die unabhängig voneinander auf dieselbe Geschwindigkeit beschleunigt werden.

Mir persönlich ist nur ein Prinzip bekannt, wo in der speziellen Relativitätstheorie ausgedehnte Körper beschleunigt werden können, und das ist, wie schon oben erwähnt: proper acceleration with rigid motion. Ich habe die entsprechende Stelle aus W. Rindler's 'Essential Relativity' herauskopiert. Damit das Kapitel 2.16 nicht ganz aus dem Kontext gerissen wird, habe ich noch ein paar Seiten davor mitkopiert. Falls Sie den Versuch gestartet haben sollten, mit diesem Prinzip das Raumschiffparadox zu widerlegen, so könnte ich Ihnen Ihr Scheitern mit Gewissheit voraussagen.

Um Gleichung (2.32) aufzustellen, werden von den LTG die Eigenschaften Längenverkürzung und Zeitverlangsamung abstrahiert, wobei alles Übrige ignoriert wird:

x = (1 - u2/c2) 1/2 x'

t = (1 - u2/c2)-1/2 t'

Wenn also

du'/dt' = a

so folgt

du/dt = (1 - u2/c2) 3/2

und weiter ergibt sich

x2 - c2t2 = c4/a2     (2.32)

Damit man mit Gleichung (2.32) für eines der beiden Raumschiffe eine 'proper acceleration' von a = 40m/s2 erhält, muss man dem Raumschiff zum Zeitpunkt t = 0 Sek einen x-Koordinaten-Wert

x = c2/a = c2 / 40m/s2 ≈ 0.24 LJ

zuordnen. Somit bleibt für die x-Koordinate des zweiten Raumschiffs nur der Wert x ≈ 1.24 LJ und seine Beschleunigung ist damit auf c2/1.24 LJ ≈ 7.7 m/s2 festgelegt. Lediglich in dieser (sicher leicht absurden) Kombination kommt es zu keinem Widerspruch mit der Längenkontraktion. Die zwei Raumschiffe haben dann aber zu jedem Zeitpunkt (System S) verschiedene Geschwindigkeiten und müssen bis in alle Ewigkeit beschleunigt bleiben. Da sich das hintere Raumschiff (x ≈ 0.24 LJ) immer schneller als das vordere (x ≈ 1.24 LJ) bewegt, so wird bei gleichzeitiger Betrachtung im S-System die Zeit des hinteren immer mehr hinter der Zeit des vorderen Raumschiffs zurückbleiben. Hört die Beschleunigung gleichzeitig (S-System) auf, so wird das hintere Raumschiff das vordere ziemlich schnell wegen der höheren Geschwindigkeit überholen, und alle Widersprüche treten voll zu Tage.

Möchte man für beide Raumschiffe eine identische 'proper acceleration' so ergibt sich:

Raumschiff 1:   x = ∞ LJ

Raumschiff 2:   x = [∞ + 1] LJ

acceleration:     a = 0 m/s2

Wenn Sie trotz allem glauben, dass die spezielle und die allgemeine Relativitätstheorie richtig sein müssen, da Michelson-Morley, nicht-klassische Perihelverschiebung u.s.w. einer Erklärung bedürfen, so kann ich Ihnen versichern, dass es dafür eine viel einfachere und meiner Ansicht nach auch elegantere Erklärung gibt. Sie basiert auf einer klaren Trennung des physikalischen Raumes vom geometrischen und der physikalischen Zeit von einer idealisierten, wobei Raum und Zeit nicht wie in der heutigen Physik vermischt werden. Fundamental ist die Gleichzeitigkeit und die Inseparabilität aller Objekte. Galilei's Relativitätsprinzip und Trägheitssatz sind prinzipiell falsch, da sie zu ihrer exakten Formulierung einen physikalischen Raum mit den absoluten Eigenschaften eines geometrischen voraussetzen.

Ich hätte an dieser Stelle noch viel zu sagen, werde aber statt dessen Albert Einstein aus seinem Artikel 'Das Fundament der Physik' von 1940 zitieren:

"... Während aber bei einem schweren Sturm oder einer Springflut ein Gebäude schwer beschädigt werden mag, ohne dass das Fundament Schaden erleidet, ist in der Wissenschaft das logische Fundament in grösserer Gefahr, durch neue Erfahrungen oder sonstige neue Erkenntnisse erschüttert zu werden als die in engster Fühlung mit den Erfahrungstatsachen gewachsenen Teildisziplinen. In der Verbundenheit mit allen Teilen liegt die Bedeutung des Fundamentes, aber auch seine gefährdete Stellung allem Neuen gegenüber. Hält man sich dies lebhaft vor Augen, so kann man sich nur darüber wundern, dass die sogenannten Revolutions-Perioden der Physik das Fundament nicht öfter und in stärkerem Masse verändert haben, als es tatsächlich der Fall gewesen ist ..."


17.11.88

entschuldigen Sie diesen weiteren Brief. Falls Sie kein Interesse an einer Fortführung der Auseinandersetzung haben, so können Sie ohne weiteres die Lektüre abbrechen und mir dies am nächsten Freitag nach der Vorlesung mitteilen. Ich habe vollstes Verständnis einen solchen Entscheid und bin Ihnen auch dann für die bisherige Diskussion sehr dankbar und versichere Ihnen, dass ich diesen Brief nicht umsonst geschrieben habe, denn klares Ausformulieren ist ein wesentlicher Aspekt beim Lernen.

Soweit ich unsere Auseinandersetzung vom letzten Freitag rekonstruieren kann, haben wir den Fall durchgerechnet, in dem zwei Objekte, die im System S an den Stellen -L und +L ruhen, bezogen auf das S-System gleichzeitig, gleichlange (T) und gleich stark (a) beschleunigen.

x1[t] = -L + 0.5 a∙T2 + v∙(t-T)

x2[t] = +L + 0.5 a∙T2 + v∙(t-T)

Somit gilt zu jedem Zeitpunkt t ≥ T im System S für den Abstand der beiden Objekte:

Abstand = x1 - x2 = 2 L

Da beide Objekte dieselbe Geschwindigkeit v = a∙t haben, sind wir zum Schluss gekommen, dass sich der Abstand im Inertialsystem der beiden Objekte auf

Abstand' = 2 L / √[1-v2/c2]

gestreckt haben muss. Das steht aber in Widerspruch zum Postulat der Relativitätstheorie, dass die Lichtgeschwindigkeit die höchste effektive Geschwindigkeit ist. Denn auf diese Weise können sich zwei relativ zueinander ruhende Objekte bei entsprechender Beschleunigung in beliebig kurzer Zeit beliebig weit voneinander entfernen, wobei sie auch nach der gleichlangen (bezogen auf die jeweils eigene Zeit) Beschleunigungsdauer zueinander ruhen.

Die Zeit, die in beiden Objekten während der Beschleunigungsphase vergeht, ist dieselbe und berechnet sich folgendermassen:

T' = T1' = T2' = INTEGRAL von 0 bis T über √[1 - a2t2/c2] dt < T

Zur Zeit t = T ergibt sich dann folgende Situation:

x1[T]= -L + 0.5 a∙T2 . . . t1'[T,x1] = T'

x2[T]= +L + 0.5 a∙T2 . . . t2'[T,x2] = T'

Diese Gleichungen stehen in klarem Widerspruch zu den LTG, denn t1' und t2' müssten bei gleichzeitiger Betrachtung (T) im S-System folgenden Zeitunterschied aufweisen:

t2' - t1' = Dt' = g ∙ (Dt - v/c2 ∙ Dx) = g ∙ ( (T-T) - v/c2 ∙ 2L ) < 0

Für den konkreten Fall des Raumschiffparadoxons ergibt sich,

tvorderes' - thinteres' = 1.25 ∙ (-0.6c ∙ 1 LJ) = -0.75 Jahre

obwohl beide Raumschiffe zu diesem Zeitpunkt (t = 22.2.1991) das gleiche Datum anzeigen (tvorderes' = thinteres' = 18.2.1991). Hier liegt es natürlich auf der Hand zu behaupten, dass die Raumschiffuhren zwar die gleiche Zeit anzeigen, es sich im System S' dabei trotzdem nicht um Gleichzeitigkeit handelt, sondern um einen Zeitunterschied von 9 Monaten. Damit ist im S'-System folgendes gleichzeitig:

Datumhinteres = 18.2.1991 und Datumvorderes = 18.11.1991

Datumhinteres = 18.5.1990(!) und Datumvorderes = 18.2.1991

Gleichzeitigkeit mit dem hinteren Raumschiff existiert für das vordere erst wieder 9 Monaten nach Ausschalten seiner Triebwerke, also vom 18.11.1991 (eigene Raumschiffuhr). Oder anders ausgedrückt: Die zwei Raumschiffe starten gleichzeitig eine identische Beschleunigung, die bezogen auf die eigene Zeit je 48 Tage dauert, aber trotzdem beendet das vordere Raumschiff die Beschleunigungsphase 9 Monate früher als das hintere (im nach der Beschleunigung gültigen Inertialsystem S').

Werden solche Konsequenzen von der modernen theoretischen Physik erkannt und übergangen, dann lässt sich daraus nur der Schluss ziehen, dass diese wie viele andere religiöse, politische, philosophische und wissenschaftliche Strömungen zur Glaubensfrage degeneriert ist.

Sie haben meine Behauptung nicht gelten lassen, dass es prinzipiell keinen Unterschied macht, wenn die zwei Objekte, die sich zur Zeit t=0 an den Stellen ±L befinden, nach dem Prinzip von 'proper acceleration' beschleunigt werden. Dies lässt sich jedoch relativ leicht aufzeigen. Aufbauend auf den Formeln 2.32 und 2.34 (Rindler / Essential Relativity / Kapitel 2.16) folgt für das System S folgende Geschwindigkeitszunahme:

u[t] = c∙t / √[c2/a2 + t2]

Wenn

x[0] = L

dann

x[T] = L + Dx[T] . . . wobei . . . Dx[T] = INTEGRAL von 0 bis T über u[t]dt

und die im bewegten Körper vergangene Zeit berechnet sich zu

T' = f[T] = INTEGRAL von 0 bis T über √[1- u2(t)/c2]dt

und ist unabhängig vom Startpunkt L. Starten beide Objekte zur Zeit t=0 eine proper acceleration, die für beide Objekte gleich lange dauert (T1' = T2'), so ergibt sich für t ≥ f -1[T'],

x1[t] = -L + Dx ( f -1[T'] ) + u ∙ (t - f -1[T'])

x2[t] = +L + Dx ( f -1[T'] ) + u ∙ (t - f -1[T'])

und damit beträgt der Abstand im System S wiederum

x2[t] - x1[t] = 2 L

Es gibt zwei prinzipiell verschiedene Arten von Zeitverlangsamung. (Diese können natürlich beliebig kombiniert und verkompliziert werden.) Hat man zwei nebeneinanderliegende Uhren, so kann nur eine Uhr langsamer gehen als die zweite, keinesfalls aber beide reziprok. Es ist eine Zeitverlangsamung dieser Art, die in (kreisförmigen) Teilchenbeschleunigern auftritt. Die Zeit des Hochgeschwindigkeit-Teilchens geht langsamer in Relation zur Zeit einer jeden Uhr, die irgendwo im Zyklotron platziert ist. Die Zeitverlangsamung ist sozusagen absolut.

Nur aufbauend auf dem zweiten Prinzip kann es zu reziproker Zeitverlangsamung kommen. Um dieses Prinzip in seiner einfachsten Form zu realisieren, wird eine Uhr mit verschiedenen anderen Uhren verglichen, die alle gleich schnell laufen aber verschieden eingestellt sind. Eine praktische Realisierung kann so aussehen: Uhren werden nebeneinander auf ein langes Band geklebt und so eingestellt, dass eine Uhr umso mehr vorgeht, je weiter sie vorne liegt, also z.B. 0.2 Sekunden pro Meter. Ein Beobachter, der sich mit einer konstanten Geschwindigkeit von 1 m/s relativ zum Band nach vor bewegt, erhält so den Eindruck, dass seine Zeit langsamer geht als die auf dem Band (jedes Mal wenn auf der eigenen Uhr 1 Sek vergangen sind, sind es 1.2 Sek auf dem Band).

Dieses Prinzip zieht zwei wichtige Konsequenzen nach sich: Das Band kann nicht geschlossen werden, denn in eine Richtung ist alles 'Zukunft' und in die entgegengesetzte Richtung alles 'Vergangenheit'. Das ist auf der untersten Stufe auch der Grund, warum die LTG das Michelson-Morley-Experiment nicht erklären können.

Die zweite Konsequenz ist folgende: Bewegt sich der Beobachter (mit gleicher Geschwindigkeit) zurück und die Uhren auf dem Band werden nicht verstellt, so ist die Zeit des Beobachters jetzt die schnellere (1 Sek pro 0.8 Sek). Die der Lösung des Zwillingsparadoxons analoge Situation sieht auf dieser reduzierten Stufe folgendermassen aus: Die Band-Uhr, bei der sich der Beobachter im Moment des Richtungswechsels befindet, ist sozusagen gebunden und muss deshalb unverändert bleiben, aber ausgehend von dieser werden alle Uhren neu eingestellt.

      0.0
     --+-----+-----+-----+-----+-----+-----+-----+-----+-----+-----+--
      0.0   0.2   0.4   0.6   0.8   1.0   1.2   1.4   1.6   1.8   2.0
 
                                    5.0
     --+-----+-----+-----+-----+-----+-----+-----+-----+-----+-----+--
      5.0   5.2   5.4   5.6   5.8   6.0   6.2   6.4   6.6   6.8   7.0
 
                                                                 10.0
     --+-----+-----+-----+-----+-----+-----+-----+-----+-----+-----+--
     10.0  10.2  10.4  10.6  10.8  11.0  11.2  11.4  11.6  11.8  12.0
 
                                                                 10.0
     --+-----+-----+-----+-----+-----+-----+-----+-----+-----+-----+--
     14.0  13.8  13.6  13.4  13.2  13.0  12.8  12.6  12.4  12.2  12.0
 
     20.0
     --+-----+-----+-----+-----+-----+-----+-----+-----+-----+-----+--
     24.0  23.8  23.6  23.4  23.2  23.0  22.8  22.6  22.4  22.2  22.0

Man kann auch einsehen, dass der Richtungswechsel nicht mehr funktioniert, wenn der Beobachter eine Ausdehnung hat, da mehr als eine Uhr gebunden ist.

                                                           10.0  10.0
     --+-----+-----+-----+-----+-----+-----+-----+-----+-----+-----+--
     10.0  10.2  10.4  10.6  10.8  11.0  11.2  11.4  11.6  11.8  12.0
 
                                                           10.0  10.0
     --+-----+-----+-----+-----+-----+-----+-----+-----+-----+-----+--
     14.0  13.8  13.6  13.4  13.2  13.0  12.8  12.6  12.4  12.2  12.0

Sie werden hier sicher einwenden, dass es sich bei obigen Überlegungen nur um Konsequenzen im Raum-Zeit-Kontinuum handelt, die bei kleinen Geschwindigkeiten auftreten. Hat man einmal begriffen oder akzeptiert, dass Gleichzeitigkeit in der Realität relativ ist, dann... Ich meinerseits versichere Ihnen aber folgendes: Es handelt sich nicht um Konsequenzen im Raum-Zeit-Kontinuum, sondern um Grundprinzipien (Bausteine) mit denen die Theorie des Raum-Zeit-Kontinuums konstruiert wurde.

Mein Ausgangspunkt war nicht eine Kritik der modernen Physik, sondern eine Kritik des wissenschaftlichen, abendländischen Denkens. Dieses Denken steht trotz dem Wirken vieler Philosophen immer noch sehr stark im Zeichen von Euklid und Aristoteles, die mit ihren Formalisierungen der Geometrie und der Logik das Prinzip der formalen Deduktion über Gebühr über das Prinzip der Induktion gestellt haben. Später schrieb man diesen Formalisierungen apriorischen Charakter zu, und Physiker wie Einstein glaubten, die 'Harmonie der Natur' in der 'Harmonie der physikalischen Formeln' suchen zu müssen.

Ich persönlich habe sehr früh eine starke Abneigung gegen jede Art des formalen Denkens entwickelt und mich während der ganzen Mittel- und Hochschulzeit immer nur auf den absolut wesentlichen Stoff konzentriert, mir diesen aber induktiv erarbeitet. Natürlich wird eine solche Arbeitsweise vom heutigen Schulsystem keineswegs begünstigt. Denn nicht nur die Darstellung des Stoffes ist stark der deduktiv-formalen Arbeitsweise angepasst, sondern auch die Prüfungen.

Während man bei der formalen Deduktion vom allgemeinsten Fall ausgeht, strebt der Wissen induktiv aufbauende Mensch immer nach dem simpelsten Spezialfall, denn nur diesen kann er ohne Mithilfe eines Formalismus überblicken (sich eine Vorstellung davon aufbauen, ein Gefühl dafür entwickeln). Erst nach der Assimilierung der wesentlichen Spezialfälle wird er sich an den allgemeineren Fall wagen.

Der deduktiv-formale Mathematiker gibt sich mit einem Beweis für die Unmöglichkeit der Winkeldreiteilung zufrieden, wenn er ihn formal nachvollziehen kann (künstliche Intelligenz in der Informatik). Der induktiv-anschauliche Mathematiker hingegen möchte den Beweis in solche überschaubare Teile zerlegt haben, so dass er schlussendlich die Unmöglichkeit der Winkeldreiteilung genauso gleichzeitig überblicken kann wie die Tatsache, dass die Seitenhalbierenden eines jeden Dreiecks sich in einem Punkt schneiden und sich gegenseitig im Verhältnis 2 zu 1 teilen.

Dass es den rein deduktiv-formalen Menschen genauso wenig gibt (ausser man würde Computer-Programme als Menschen bezeichnen) wie den rein induktiv-anschaulichen, versteht sich von selbst. Von den bekannten Physikern war es sicher A. Einstein, der am stärksten im induktiv-anschaulichen Denken verhaftet war.

Meines Erachtens wird das philosophische Umfeld bei der Entstehung von wissenschaftlichen Theorien immer noch nicht stark genug berücksichtigt. So ist für die Entstehung der Relativitätstheorie das klassische Kausalitätsprinzip von entscheidender Bedeutung. Da dieses Wirkungen ohne (zeitlich vorangehende) Ursachen (Kräfte) ausschliesst, konnten sich seine Anhänger auch nicht mit Fernwirkungen abfinden, die gleichzeitig über grosse Distanzen wirken. Im Zusammenhang mit der Ausbreitung von elektromagnetischen Wellen gab es neben diesem Problem (Was für Kräfte sollen ein harmonisches Anpassen der Lichtgeschwindigkeit an die Erde bewirken?) noch das folgende: Wenn sich die Geschwindigkeit eines Photons in Sonnennähe auf die Sonne und in Erdnähe auf die Erde bezieht, kann der Verlauf unmöglich für beide 'Inertialsysteme' geradlinig sein. Im Zusammenhang mit dem Galilei'schen Relativitätsprinzip kommt man hier zum unüberwindbaren Problem, den effektiven Verlauf der elektromagnetischen Strahlung zu bestimmen.

Ein wesentliches Argument für die Relativitätstheorie ist die Lorentz-Invarianz der Maxwell'schen Theorie. Dieses Argument besitzt aber rein mathematische Bedeutung. Die Natur der elektromagnetischen Wellen ist primär und irgendein sie beschreibender mathematischer Formalismus sekundär. So ist die Gleichung der Ausbreitung einer kugelförmigen Lichtwelle lorentz-invariant (hier mit nur einer räumlichen Dimension):

x2 - c2t2 = 0  →  x'2 - c2t'2 = 0

Nimmt man aber die zwei Fälle, die durch obige Gleichung zusammengefasst werden, einzeln her, so ergibt sich.

x - ct = 0  →  (x' - ct') / √[1 + v/c]

x + ct = 0  →  (x' + ct') / √[1 - v/c]

. . .


20.5.90

An Raum & Zeit

Sehr geehrte Redaktion,

durch einen Arbeitskollegen bin ich auf Ihre Zeitschrift gestossen. Vieles in ihr enthaltene erscheint mir zwar nicht weniger falsch als vieles, das in Zeitschriften veröffentlicht wird, die dem institutionalisierten Wissenschaftsbetrieb nahestehen, aber grundsätzlich halte ich eine solche Plattform für kritische, non-konforme Gedanken für äusserst wichtig und unterstützenswürdig.

Die letzten drei ein halb Jahre habe ich mich mit verschiedenen Grundproblemen beschäftigt und bin dabei zu interessanten Resultaten gelangt. Falls sich die wichtigste meiner Erkenntnisse nicht als blosse Einbildung herausstellen sollte, könnte sie eine Wende in der Menscheitsgeschichte einleiten, die nach einigen vermeintlichen wieder zu Recht als "kopernikanische Wende" bezeichnet werden dürfte. Es handelt sich jedoch um nichts prinzipiell neues, sondern nur um eine Synthese folgender altbekannter Prinzipen:

1.      Kontinuität

2.      Evolution

3.      Reinkarnation

Um auf dem Boden der Realität zu bleiben, habe ich mir dabei die Methodik der Empiristen zu eigen gemacht. (Möglicherweise ist es eine eigenartige Ironie des Schicksals, dass gerade die drei grossen englischen Empiristen Francis Bacon (1561-1626), John Locke (1632-1704) und David Hume (1711-1776) ein ideales Beispiel empirischen Datenmaterials für eine solche Theorie darstellen könnten, die diese Denker und die meisten von Ihnen beeinflussten Menschen mit ziemlicher Sicherheit intuitiv abgelehnt hätten oder ablehnen werden). Die Methodik der Empiristen besteht darin, nur solche Erkenntnisse und Schlüsse anzuerkennen, die induktiv auf faktisch belegbaren Tatsachen aufbauen. Solche Fakten, die meinen Schlüssen zugrunde liegen, sind z.B. folgende:

1.      Es ist einfach, gewöhnliche Hunde oder Pferde zu züchten, aber je ausgeprägter die Eigenschaften der zu vermehrenden Tiere, desto spärlicher stellt sich Nachwuchs ein. (Wäre einzig und alleine die Genetik dafür verantwortlich, so sollte sich "gutes" genetisches Material genausoleicht wie durchschnittliches fortpflanzen lassen.)

2.      Dringt eine Art in eine neue ökologische Nische, die für sie wesentlich erleichterte Überlebensbedingungen bietet, so stellt sich ein exponentielles Wachstum der Mitgliederzahl ein (z.Z. ist dies bei der Menschheit der Fall). Nach einiger Zeit kommt es jedoch zu einem Stillstand, oft schon bevor eine gegenseitige Behinderung der Individuen bei Nahrungssuche und Lebensraum zur Wirkung kommt.

Nach diesen Beispielen hier nun die Grundzüge der Evolutionstheorie, die individuelles Bewusstsein nicht nur als entbehrbares Nebenprodukt (wie es vor allen von der evolutionären Erkenntnistheorie formuliert wird) sondern als wesentlichen Bestandteil beinhaltet:

Prämissen:

1.      Existenz von individuellem Bewusstsein bei Mensch und Tier

2.      Evolutionäre Entwicklung der Arten

Kernaussage:

1.      Jedes (menschliche und tierische) individuelle Bewusstsein hat sich in einer langen Kette von Inkarnationen entwickelt

Folgerungen:

1.      Wir (ich meine damit unsere subjektiv die Welt erlebenden Ich's) waren unsere eigenen Vorfahren (inklusive Urmenschen, Affen, niedere Säugetiere u.s.w.).

2.      Wir werden unsere eigenen Nachkommen sein (diese Erkenntnis dürfte sich positiv auf den Umweltschutzgedanken auswirken).

3.      Aufgrund der Kontinuität kann man annehmen, dass das individuelle Bewusstsein eines Bobby Fisher sich ein Leben früher kaum in der Person eines Schwergewichtboxers, oder das eines Mozart sich kaum in der Person eines gefühllosen Piraten manifestiert haben kann. Aufgrund der aussergewöhnlichen Fähigkeiten, die diese zwei Männer auf ihren Gebieten schon in frühester Jugend gezeigt haben, ergibt sich mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit, dass es sich um Individuen handelt, die auch in ihren Vorleben auf diesen Gebieten erfolgreich tätig waren und der Nachwelt nicht unbekannt geblieben sein können. So halte ich folgende Zuordnungen für plausibel, wobei ich eingestehen muss, dass ich hier eher intuitiv als aufgrund des nötigen Quellenstudiums urteile:

 
          J.S.Bach       (1685-1750)        Paul Morphy    (1837-1884)
          W.A.Mozart     (1756-1791)        J.R.Capablanca (1888-1942)
          Franz Schubert (1797-1828)        Bobby Fisher   (1943-    )
          Gustav Mahler  (1860-1911)

Falls Sie Interesse haben, könnte ich die Grundprinzipien dieser Synthese von Evolution und Reinkarnation in einem relativ kurzen Artikel für Ihre Zeitschrift darlegen. Ein wesentlicher Bestandteil dabei wäre die Klärung der benötigten Begriffe (z.B. (individuelles) Bewusstsein) in praktisch-anschaulicher Weise. Zudem würde ich weitere dafürsprechende Argumente (z.B. Domestikation) anführen und die wichtigsten mir bekannten Einwände (z.B. Bevölkerungsexplosion) entkräften.

Dass diese Erkenntnis, sollte sie sich als richtig erweisen (woran ich persönlich kaum mehr zweifle), die institutionalisierten Wissenschaften, Philosophien, Ideologien und Religionen in arge Bedrängnis bringen wird, versteht sich von selbst.

Ein anderer Themenkreis, zu dem ich mich gerne äussern würde, wäre die Physik, vor allem die Problematik, der Ihre Zeitschrift ihren Namen verdankt. Hier herrscht trotz oder vielleicht wegen dem Wirken einiger Philosophen und Physiker ein komplettes Chaos. Deshalb kann auf diesem Gebiet auch jeder behaupten, was er will. In Erwartung einer Stellungnahme verbleibt


27.5.90

. . .

Ihre Kritik von Müller's Arbeiten enthält einen Satz (vorletzter Absatz), der mir in rhetorischer Hinsicht zwar sehr gefällt, dessem Inhalt ich aber nicht ganz zustimmen kann. Sie tönen darin die Möglichkeit eines Galilei'schen Relativitäts-Prinzips an, das vom Einstein'schen unterschieden werden kann. Genau das halte ich für nicht möglich.

Betrachten wir zwei gleichgrosse Körper, zwischen denen ein Sprengsatz so angebracht sein soll, dass beide Körper, sofern sie ruhen (v1 = v2 = 0.0c), nach der Zündung in entgegengesetzte Richtung mit je halber Lichtgeschwindigkeit (v1 = 0.5c, v2 = -0.5c) auseinanderfliegen würden. Gilt vor der Zündung v1 = v2 = 0.5c, so folgt aus dem Galilei'schen Relativitätsprinzip zweifelsfrei, dass nach der Zündung v1 = 0.0c und v2 = 1.0c sein müsste. Doch aufgrund von Experimenten der Hochenergie-Physik wissen wir, dass die Geschwindigkeit des in Bewegungsrichtung weggeschleuderten Körpers sich nur um 0.3c auf v1 = 0.8c erhöhen, während sich die Geschwindigkeit des anderen um 0.5c auf v2 = 0.0c reduzieren würde.

Wenn man trotz der Resultate der Hochenergie-Physik am Dogma der Gleichberechtigung aller Inertialsysteme festhält, so bleibt einem nichts anderes übrig, als nach mathematischen Transformationen zu suchen, welche die bei Kollisionsexperimenten festgestellten Geschwindigkeiten so umwandeln, dass diese mit den von Galilei geforderten übereinstimmen. Und hier landet man zwangsläufig bei den LTG und somit bei der speziellen Relativitätstheorie.


30.6.90

Über Ihren Brief habe ich mich echt gefreut, also vielen herzlichen Dank für Ihre Bemühungen. Die kritischen Bemerkungen haben mich vor allem in der Überzeugung bestärkt, dass die Hauptprobleme der heutigen Physik begrifflich-sprachlicher Art sind. Was heisst es überhaupt, wenn man sagt, m1 = m2 oder F = m∙a. Unter welchen Bedingungen hat ein Mol Wasserstoffatome dieselbe Masse mh? Über diese Problematik war ich mir beim Verfassen meiner Arbeiten (die drei kleineren entstanden im Herbst 88) noch zu wenig im Klaren.

Die physikalische Sprachverwirrung, deren Auswüchse in der heutigen Physik teilweise schon ans Groteske grenzen, beginnt spätestens mit den Newtonschen Axiomen 'Kraft ist gleich Masse mal Beschleunigung' und 'Kraft ist gleich Gegenkraft' (folgt daraus nicht: Beschleunigung ist gleich Gegenbeschleunigung?). Diese sind entstehungsgeschichtlich vollkommen verständlich, stehen aber im Gegensatz zu einer klaren empirisch-induktiven Begriffsbildung.

Wenn ich gegen eine Wand drücke, so nennt sich das Kraft, obwohl von einer Beschleunigung nichts zu sehen ist. Der effektive Zusammenhang ist der folgende: Zwischen mir und der Wand herrscht eine messbare Druckkraft. Eine gleich starke Druckkraft kann auch im Zusammenhang mit beschleunigten Massen oder, was meiner Meinung nach fundamentaler ist, mit ruhenden Massen bei Gravitation entstehen. Es ist zweckmässig, solche Kräfte immer durch ein Produkt aus Masse und Beschleunigung zu benennen. Man muss sich aber bewusst sein, dass (Druck-) Kraft nicht Masse mal Beschleunigung ist, sondern dass dies nur eine Art und Weise ist, ihre Stärke auszudrücken.

Dies war nur als sehr allgemeine Vorbemerkung zu Ihrer Widerlegung meiner zweiten Hypothese gedacht. In der einfachsten Form sieht Ihre Widerlegung so aus:

1) c1 = Lichtgeschwindigkeit auf G.Potential der Erde

2) c2 = Lichtgeschwindigkeit auf G.Potential der Sonne <> c1

3) Ruheenergie (m0, c1) = Ruheenergie (m0, c2)

Setzt man

Ruhenenergie (m, cvar) = m0 ∙ cvar2,

so folgt aus 3)

c1 = c2

entgegen der Annahme 2).

Wenn man sagt, der Tauschwert einer Ware hängt nur von deren Beziehung zum Gold ab und ist unabhängig vom aktuellen Goldpreis (Inflation), so kommt man zu einem analogen Widerspruch, sobald der Tauschwert in Geld (z.B. bras. Cruzados) ausgedrückt wird:

1') Goldpreis1 = Goldpreis (30.03.90)

2') Goldpreis2 = Goldpreis (30.06.90) <> Goldpreis1

3') Tauschwert (Ware0 , Goldpreis1) = Tauschwert (Ware0 , Goldpreis2)

Denn während der effektive Tauschwert sich in 3 Monaten nicht ändert, so scheint er sich zu verdoppeln, sobald man ihn in Cruzados ausdrückt, und damit folgt auch hier aufgrund von 3') Goldpreis1 = Goldpreis2 entgegen der Annahme 2').

Genauso wie 3') gemeint ist, dass man für Ware0 nach drei Monaten immer noch gleichviel Brot eintauschen kann, so meine ich mit 3) folgendes: Wenn ich einen bestimmten Teil der Masse m0 in Energie umwandle, um damit die zwei gleichgrossen Hälften des Rests in entgegengesetzte Richtung zu beschleunigen, so ergibt sich sowohl auf der Erde als auch auf der Sonne eine Geschwindigkeit, die denselben Anteil an der jeweiligen Lichtgeschwindigkeit ausmacht. Auch wenn dieser Teil dazu benutzt wird, den Rest zu erwärmen, so ergibt sich unabhängig vom Gravitationspotential überall derselbe Effekt.

Man sieht aufgrund dieser Problematik, dass es (kurzfristig) eine Vereinfachung bringt, wenn man wie Einstein die erhöhte Lichtgeschwindigkeit durch Manipulation der Raum- und Zeit-Koordinaten zur normalen zurücktransformiert (nur leider endet diese Vereinfachung in einem schwarzen Loch).

Ein ähnlicher Widerspruch wie der von Ihnen aufgezeigte ergibt sich in der offiziellen Physik. Dem ruhenden Urkilogram, wird sowohl in Meereshöhe als auch auf dem Mount Everest dieselbe Masse zugesprochen. Jedoch für jeden konkreten Beobachter besitzt das Urkilogramm auf dem Mount Everest mehr Energie und damit mehr Masse.

Diese ganze Problematik lässt sich meiner Meinung nach nur auf eine Art und Weise von Grund auf lösen: Masse und Energie sind nicht relativ, sondern absolut. Es kann wohl niemand bestreiten, dass es Energietypen gibt, die absolut sind (potentielle Energie, Wärmeenergie, Kernbindungsenergie). Es kann kein wie auch immer geartetes Bezugssystem geben, in dem man dem Urkilogramm nach einer Erwärmung um 100°C denselben oder einen kleineren Energiewert zusprechen kann als davor (natürlich unter der Voraussetzung, dass die anderen Parameter unverändert bleiben). Bei genauerer Betrachtung stellt man fest, dass einzig die kinetische Energie bei v<<c sich vordergründig der Unterordnung unter den Begriff der absoluten Energie widersetzt, da deren wahrnehmbare Effekte nur von den relativen Geschwindigkeiten der beteiligten Massen abhängen.

. . .


13.7.90

... Ihre Unterscheidung von Stamm- und Zuwachsmasse löst viele Probleme, scheitert aber an der Trägheit der Kernenergie und deren prinzipieller Erzeugbarkeit aus anderen Energieformen (z.B. kinetischer).

Ihrer sprachphilosophischen Bemerkung muss ich zustimmen. Dann lautet meine Kernthese: Aberration und Ätherdriftexperimente haben den Einheitsäther zu Fall gebracht; es lebe das Zweiäthersystem mit seinen Komponenten Trägheits- und Schwingungsäther! Es klingt weit weniger absurd, zu sagen, Masse bindet Äther in mathematisch beschreibbarer Form an sich, als zu behaupten, Masse binde Raum an sich. Im Trägheitsäther ruhende Materie hat die kleinste Masse.

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30.9.93

... und bin der Meinung, dass Du Kants Intentionen nicht gerecht wirst. Der Grund des Briefes ist aber primär ein egoistischer: Ich möchte Erfahrung im Umgang mit philosophischen Texten sammeln. Durch ähnliche Auseinandersetzungen mit Physikern habe ich einiges über moderne Physik gelernt, obwohl ich selten eine Antwort erhalten habe. Du brauchst also kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn Du keine Zeit oder kein Interesse hast, mir zu antworten.

Um Dir das Nachschlagen zu ersparen, habe ich die wesentlichen Textstellen als Kopien beigelegt. Zudem habe ich eine Übertragung von Kants Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises in meine Lesart beigelegt. Bei dieser Übertragung habe ich mich bemüht, soweit als möglich und es Deine Argumente nicht betrifft, Ockhams Rasiermesser anzulegen.

Wenn sich ein Text auf zwei Arten gleich zwanglos interpretieren lässt, so ist immer die Interpretation des Texts vorzuziehen, die grössere (innere und äussere) Kohärenz besitzt. Wenn sich also Kants Text zwanglos so interpretieren lässt, dass kein flagranter Widerspruch entsteht, so ist diese Interpretation der Deinigen vorzuziehen.

Wenn jemand in einem Text 'Menschen im biologischen Sinne' von 'echten Menschen' unterscheidet und als echte Menschen nur diejenigen bezeichnet, die nach dem Guten streben, so wirst Du ihn leicht des flagranten Widerspruchs bezichtigen können, wenn Du die gegebene Definition von 'echtem Mensch' nicht weiter im Auge behältst. Sätze wie "Verbrecher sind keine 'echte Menschen' " interpretierst Du dann nämlich wie "Verbrecher sind keine (echten) Menschen".

Sicher ist Kants Namenswahl bei seiner Unterscheidung in 'logische' und 'reale Prädikate' schlecht. Ich verwende in meiner Textübertragung 'normale Prädikate' und (als deren Teilmenge) 'Begriffsbildungsprädikate'. Letztere könnte man auch 'analytische Prädikate' nennen, weil analytische Urteile durch Begriffszerlegung gebildet werden. Gemäss Kant gehören nur essentielle und keine existentiellen Prädikate in die Begriffsintension. Somit musst Du 'reale Prädikate' für Deinen Sprachgebrauch mit 'essentielle Prädikate' übersetzen.

. . .

Dass Du vermutest, Kant würde 'sein' als secundum adiacens mit 'sein' als tertium adiacens gleichsetzen, erstaunt mich. Aus der Tatsache, dass er eine kurze Bemerkung über diese Problematik so ungünstig platzierte (Absatz 10), dass sie missverständlich sein kann, schliesse ich folgendes: Für Kant war es selbstverständlich, dass 'sein' als tertium adiacens (wenn man vom Mitausdrücken von Zeit und Modus absieht) nur als Kopula dient und von 'sein' als Synonym zu 'existieren' unterschieden werden muss, und er glaubte auch, dieses Wissen beim Leser voraussetzen zu dürfen. Diese Erkenntnis findet sich nämlich spätestens im 12. Jh. bei Abaelardus, der u.a. mit Beispielen wie 'chimaera est opiniabilis' und 'chimaera est non-existens' argumentierte (Trierer Theologische Studien, Band 38, 166ff.).

Kant ist in der schriftlichen Niederlegung seiner Gedanken oft ziemlich ungenau. Erschwerend wirkt sich sein Bestreben aus, ästhetischen Forderungen durch Verwendung synonymer Begriffe und Satzstrukturen gerecht zu werden. Zudem machte er den kaum zu umgehenden Fehler aller Schriftsteller und Leser, nämlich er verabsolutierte den eigenen Sprachgebrauch. Dieser kann aber nur das Resultat der Zeitepoche, der gelesenen Schriften und des eigenen Denkens sein. ...

. . .

Die Fehlentwicklungen in der modernen Physik sind sicher keine Folge von Kants Philosophie, sondern die Sehnsucht nach Metaphysik, nach Grossem, nach Spektakulärem hat dort öfters den Sieg über das kritische Denken davongetragen.

. . .

Anhang:

Von der Unmöglichkeit, die Existenz Gottes aus dem Begriff 'Gott' abzuleiten*

1) Die Vernunft mag den Begriff 'Gott' benötigen. Die Existenz eines Begriffs beweist jedoch nicht die Existenz eines ihm entsprechenden Dings. 2) Man hat sich bisher weniger bemüht, eine konkrete Vorstellung von Gott zu bilden als seine Existenz zu beweisen. Eine mögliche Definition von Gott ist einfach: Etwas, dessen Nichtexistenz unmöglich ist. Weil man sich aber kein konkretes Ding vorstellen kann, dessen Nichtexistenz apriori unmöglich ist, ist obige Definition kaum hilfreich zur Bildung einer Vorstellung von Gott. 3) Der Begriff 'Gott' entstand zufällig und wurde immer geläufiger. Man glaubte, ihn durch viele Beispiele erklären zu können, und seine Geläufigkeit liess weitere Untersuchungen unnötig erscheinen.

Sätze der Geometrie wie 'ein Dreieck hat drei Winkel' sind apriori gültig. 4-7) Ähnlich glaubte man von etwas, das ausserhalb unserer Vorstellung liegt, urteilen zu können. Das führte zu folgender Illusion: Man kann einen Begriff bilden, in dessen Begriffsintension man die Existenz des dem Begriff entsprechenden Dings hineinnimmt. Man könnte z.B. ausgehend vom Begriff 'Kö-d-un', der vollständig durch das Prädikat 'König des Universums' definiert sein soll, durch Hinzufügen des Prädikats 'existierend' den neuen Begriff 'E-ködun' bilden, und dann die Existenz eines Königs des Universums aus dem Begriff 'Eködun' ableiten.

7') Die Bildung eines Begriffs kann sinnvoll sein, wenn seine Begriffsbildungsprädikate sich gegenseitig nicht widersprechen. Ein Begriff ist ein leerer Begriff, wenn seine Bildung nicht klar aufgezeigt werden kann oder seine Prädikate in keiner Beziehung zu prinzipiell möglichen Wahrnehmungen stehen. Von der Existenz von Begriffen kann nicht auf die Existenz von Dingen geschlossen werden.

8) Es ist nicht sinnvoll, die Existenz, unter welchem versteckten Namen auch immer, in die Begriffsintension hineinzunehmen (z.B. bei Mammut, Elefant, Zyklop, Ufo, Telepatie). Macht man dies beim Begriff 'Gott', z.B. indem man sich ihn aus allen positiven Prädikaten, zu denen auch 'Existenz' gehören soll, zusammengesetzt denkt, so ist die Existenz Gottes scheinbar bewiesen. 'Gott existiert' wäre demnach genauso wie 'Zyklopen sind einäugig' ein analytisches Urteil, obwohl Existenzaussagen allgemein als synthetische Urteile angesehen werden.

9) Eine genaue Analyse des Begriffs 'Existenz' wird durch Nichtunterscheidung von Begriffsbildungsprädikaten und normalen Prädikaten erschwert. Normalerweise kann alles als Prädikat dienen, sogar das Subjekt kann von sich selbst als Prädikat ausgesagt werden. Ein Begriffsbildungsprädikat jedoch wird einem Begriff (der wiederum aus Begriffsbildungsprädikaten zusammengesetzt gedacht wird) hinzugefügt, um einen spezielleren Begriff zu bilden. Das ist nur dann sinnvoll, wenn das hinzugefügte Prädikat im ursprünglichen Begriff nicht schon enthalten ist sondern dessen Intension vergrössert.

10) Existenz ist kein Begriffsbildungsprädikat, sondern ein Prädikat, das in einem Urteil nur synthetisch zu einem Subjekt hinzukommen kann. (In Sätzen wie 'Gott ist allmächtig' hat das Verb 'sein', das auch als Synonym zu 'existieren' dienen kann, überhaupt keine Funktion als Prädikat sondern dient ausschliesslich der Verknüpfung von Subjekt und Prädikat.) Sage ich 'Gott existiert', so füge ich kein neues Begriffsbildungsprädikat zu Gott hinzu (d.h. ich bilde kein analytische Urteil), sondern ich sage, dass das, was dem Begriff 'Gott' in meiner Vorstellung entspricht, in der Realität existiert. Das Ding der Realität muss dann mit dem meiner Vorstellung übereinstimmen. Dem Ding der Vorstellung und damit dem Begriff kommt dadurch, dass das Ding in der Realität existiert, nichts mehr hinzu. Die Vorstellung von 100 sFr. ist dieselbe, unabhängig davon ob sie in meiner Geldtasche existieren oder nicht. (Die Vorstellungen der Existenz und der Nichtexistenz der 100 sFr. sind natürlich nicht dieselben).

11) Wenn ich mir ein Ding durch beliebige Begriffsbildungsprädikate denke, so kommt dadurch, dass ich die Existenz des Dings behaupte, zu meiner Vorstellung des Dings (im Gegensatz zu meiner Vorstellung der Realität) nichts mehr hinzu. Denn sonst würde nicht das existieren, was meinem ursprünglichen Begriff entspricht (z.B. ein Zyklop) sondern [etwas mit] mehr [Eigenschaften] (ein existierender Zyklop), und ich könnte nicht sagen, dass gerade das Ding meines ursprünglichen Begriffs (ein Zyklop) existiert. Denke ich mir nun Gott als 'höchste Realität ohne Mangel', so bleibt die Frage, ob Gott existiert oder nicht. Denn obwohl es Gott in meiner Vorstellung an nichts fehlt, so bleibt offen, ob Gott in der Realität aposteriori erkannt werden kann.

12) Ein Begriff mag enthalten, was er will. Um aber zu erkennen, ob ein ihm entsprechendes Ding existiert, müssen wir über den Begriff hinausgehen. Bei Dingen der Sinne muss eine Verknüpfung mit Wahrnehmungen gegeben sein. Aber für Begriffe von Dingen, die ausserhalb des empirisch Wahrnehmbaren liegen, gibt es keine Möglichkeit, ihre Existenz zu erkennen, weil diese gänzlich apriori erkannt werden müsste. Die Existenz solcher Dinge anzunehmen, ist eine Hypothese, die prinzipiell möglich, aber durch nichts zu rechtfertigen ist.

* K.d.r.V. B 620-631


1.11.1993

... Du schreibst: "Überhaupt ist eine kohärente Interpretation einer Philosophie nur dort vorzuziehen, wo der Philosoph sich nicht widerspricht". Das ergibt für mich nur unter folgender Prämisse einen Sinn: Man kann ohne irgendeine (oder mit einer apriori gültigen) Interpretation feststellen, ob ein Text widersprüchlich ist oder nicht. In unserem Fall bedeutet das: Wenn Du Deine Interpretation als apriori gültig ansiehst, kannst Du die Möglichkeit eines Vorzugs der Meinigen mit gutem Recht ausschliessen.

Was ich mit "verabsolutieren des eigenen Sprachgebrauchs" umschreibe, fasst Du mit "dasselbe Wort kann verschiedene Bedeutungen besitzen" zusammen. Dem stimme ich zu, zur Präzisierung würde ich aber "für verschiedene Menschen oder zu verschiedenen Zeiten" hinzufügen. Beispiele: "Ein gemeines Weib" heute und vor zweihundert Jahren oder "sich beim Springen den Fuss brechen" für einen Schweizer und einen Deutschen.

Den Begriff 'logisch' versuche ich soweit als möglich zu vermeiden, da ich keinen einheitlichen Gebrauch feststellen kann. Aber dass auch 'normale Prädikate' unklar ist, hat mich überrascht. Mein intendierter Sinn ist 'Prädikate ohne weitere Präzisierung' (d.h. 'Prädikate'). Es folgt: Jedes Prädikat, auch ein abnormales, ist ein normales Prädikat. Es handelt sich hier um eine ähnliche Problematik wie beim Begriff Tier, der einerseits als Gegensatz zu 'Mensch' und andererseits als Überbegriff dazu gebraucht wird. Solche Verwirrungen werden sich erst in Plansprachen mit absoluten (d.h. sinnvollen, klaren, intersubjektiv nachvollziehbaren) Begriffen und Sprachstrukturen beseitigen lassen.

Was ich mit 'analytischen Prädikaten' meine, lässt sich genauer mit 'potentiell analytischen Prädikaten' ausdrücken. Das sind Prädikate, die in analytischen Urteilen vorkommen können. (Eine verfaulende Kartoffel wird auch als Essware bezeichnet, obwohl sie aktual in keiner Beziehung zu 'essen' steht). Wie Du in ... schreibst, ist jede Existenzaussage synthetisch. Daraus folgt: Existenz ist kein potentiell analytisches (in Kants Terminologie: kein reales) Prädikat. (Die Frage nach Analytizität von "Existing-islands exist" würde Dich und Kant in gleicher Weise betreffen). Du unterscheidest im Brief 'Prädikat einer Sache' von 'Prädikat eines Urteils'. Soweit ich das gemeinte zu verstehen glaube, handelt es sich um die diskutierte Unterscheidung. Erstere sind bei Kant reale Prädikate (d.i. Bestimmungen eines Dinges) und letztere logische Prädikate.

. . .


19.9.1994

An Spektrum der Wissenschaften

G. J. Taylors Artikel über die Mondentstehung fordert zu einer Entgegnung geradezu heraus. Er ist in vieler Hinsicht interessant, z.B. erhält man Einblick, wie einer Theorie zum Durchbruch verholfen werden soll: Überzeugt von der Hoffnungslosigkeit der konkurrierenden Theorien, organisieren drei Anhänger eine Tagung und geben sich dann sehr überrascht, wenn ihr Favorit dort als Sieger hervorgeht (S.61, Sp.1-2). Dass aber nicht die Fakten die Kollisionstheorie favorisieren, kann man erkennen, wenn man die Argumentation des Artikels analysiert.

So wird gegen die Einfanghypothese die verschwindend geringe Wahrscheinlichkeit vorgebracht (S.59,3). Es ist viel wahrscheinlicher, dass ein Himmelskörper mit der Erde kollidiert als dass er von ihr eingefangen wird. Eine Kollision aber, bei der die gesamte Mondmasse auf 380,000 km Entfernung geschleudert wird und danach in eine ziemlich kreisförmige Umlaufbahn übergeht, anstatt auf die Erde zurückzufallen oder sich wegzubewegen, ist kaum viel wahrscheinlicher als ein direkter Einfang. Evolutionstheoretiker machen oft denselben Fehler: Sie geben zu, dass die Wahrscheinlichkeit für zufälliges Entstehen eines sich selbst reproduzierenden Organismus auf direktem Weg im Bereich des Unmöglichen liegt, glauben aber, es sei auf indirektem Weg möglich, und ignorieren, dass man auch dann die Wahrscheinlichkeiten aller Schritte in die richtige Richtung miteinander multiplizieren muss.

Taylor schreibt, die Einfanghypothese sei durch die Verwandtschaft von Erde und Mond endgültig widerlegt (S.59,3). Diese Widerlegung ist unter der Prämisse gültig, dass der Mond, wenn er eingefangen wurde, nicht in derselben Region des sich entwickelnden Planetensystems entstanden sein kann wie die Erde. Für die favorisierte Theorie wird aber genau dies gefordert: Der aufprallende, etwa marsgrosse Urplanet muss in eben dieser Region entstanden sein (S.62,1).

Auch die Argumentation gegen die plausibelste Theorie, die Doppelplaneten-Hypothese, zeigt, dass Prämissen immer so gewählt werden, dass sie dem Vor-Urteil des Autors dienen. Die Forderung, die Zusammensetzungen von Erde und Mond müssten stärker übereinstimmen, wenn diese nebeneinander entstanden wären, ist nicht haltbar. Auch der Jupiter und seine Monde oder die Sonne und ihre Planeten unterscheiden sich jeweils stark in ihren Zusammensetzungen. Jupitermonde und Planeten dürften aber kaum alle eingefangen worden sein oder Kollisionen des Jupiters bzw. der Sonne mit anderen Himmelskörpern ihre Entstehung verdanken.

Der Autor schreibt, die Doppelplaneten-Hypothese sei nur schwer mit dem kleinen metallischen Kern des Monds in Einklang zu bringen. Ausgehend von der Prämisse, dass die nicht-gasförmigen Partikel des entstehenden Erde-Mond-Systems alle etwa denselben metallischen Anteil hatten, weist er auf die Unwahrscheinlichkeit einer Spaltung in metallreiches und metallarmes Material hin (S.61,1).

Viele Materiebrocken bewegten sich in verschiedenen Bahnen um die Urerde. Sie blieben umso eher im Materiering, aus dem sich der Mond bildete, durch Reibung hängen, je kleiner und leichter sie waren. Jeder Brocken, der einmal auf die entstehende Erde fiel, blieb dort hängen. Dass der metallische Anteil des Mondes kleiner als der der Erde ist, steht in Einklang mit Prämissen wie den folgenden: Die Partikel des entstehenden Erde-Mond-Systems unterschieden sich in ihren metallischen Anteilen; Brocken mit niedrigen metallischen Anteilen zersplitterten leichter als solche mit hohen.

Der Autor schreibt weiter (S.61,1), die Doppelplaneten-Hypothese könne den kleineren Anteil an leichtflüchtigen Substanzen im Mondgestein nicht erklären.

Gasförmige Substanzen verlassen einen Himmelskörper umso leichter, je kleiner er ist. Kleinplaneten und Monde haben meist keine Atmosphäre. Als die Oberflächen von Erde und Mond noch heiss und flüssig waren, gab es jeweils eine Atmosphäre aus leichtflüchtigen Substanzen. Diese entwichen leicht vom Mond, während auf der Erde der atmosphärische Druck das Ausdörren des Gesteins behinderte. Die zur Verflüssigung notwendige Energie stammte von der Gravitation. Das Potential des Mondes liegt mit einer Entweichgeschwindigkeit von 2.37 km/s (Oberfläche) bis 2.9 km/s (Zentrum) so tief, dass die bei der Mondentstehung freiwerdende Energie ausreichte, den Mond auf ein paar Tausend Grad aufzuheizen.

Auch zur Erklärung des heutigen Drehimpulses des Erde-Mond-Systems benötige man den Kollisionspartner, schreibt Taylor (S.61,1, S.62,1). Einfache Zuwachsmodelle ergäben eine langsamere Erdrotation. Richtig ist aber, dass man je nach Prämissen solcher Modelle zu ganz verschiedenen Rotationsgeschwindigkeiten kommt. So findet sich im Artikel ein Hinweis auf die Venus, deren Rotationsdauer 243 Tage beträgt, nicht aber auf den Mars (24.6 Std.) oder den Jupiter (9.9 Std.). Auch sei unklar, warum der Ring, aus dem sich der Mond bildete, so schnell rotieren konnte, dass er in der Umlaufbahn blieb. Wie steht es dann aber mit den Saturnringen oder den Jupitermonden?

Die Kollisionstheorie scheint als Erklärung effizient. Viele Eigenschaften des Erde-Mond-System lassen sich erklären, indem man für den Kollisionspartner entsprechende Eigenschaften postuliert. Das Prinzip der Erklärung ist häufig: Man postuliert ein Objekt als Ursache eines erklärungsbedürftigen Sachverhalts und übersieht, dass solche Objekte meist mehr Fragen aufwerfen als lösen, wie z.B. Gravitonen als Ursache der Gravitation. Der Kollisionspartner wirft u.a. folgende Fragen auf: Wie verhielt sich seine Umlaufbahn zur irdischen? Hatte er einen viel höheren Drehimpuls als die Erde, oder änderte sich der Gesamtdrehimpuls der beteiligten Körper während der Kollision? Waren weitere solcher Urplaneten in derselben Region wie die Erde entstanden?

Natürlich übt eine gigantische Kollision eine grössere Faszination aus als eine kontinuierliche Mondentstehung. Das Interesse an dunkler Materie, Quasaren, Schwarzen Löchern usw. zeigt, dass der Unterhaltungswert wissenschaftlicher Theorien nicht zu unterschätzen ist. Bei gleicher Plausibilität darf man ohne weiteres der spektakulärsten von konkurrierenden Theorien den Vorzug geben, nicht aber, wenn eine weniger spektakuläre plausibler ist.

Objektivität und Transparenz würden meiner Meinung nach erfordern, diese oder eine bessere Entgegnung zu Taylors Artikel abzudrucken.


30.06.1995

An Naturwissenschaften

In der Beilage sende ich Ihnen die ersten drei Teile der fünfteiligen Schrift 'Das Fundament der Physik'. (Die anderen Schriftstücke sind nur beigeheftet, damit Sie die Konsistenz meiner Thesen besser beurteilen können). Da ich die Schrift als Abschluss einer Problematik mit wesentlichen Veröffentlichungen in den Jahren 1905, 1935 und 1965 sehe, würde ich sie gerne 1995 veröffentlicht wissen. Um die Wahrscheinlichkeit dazu nicht allzu klein werden zu lassen, wende ich mich noch vor Fertigstellung (ausschliesslich) an Sie. Eine Schrift, die den jeweils anerkannten wissenschaftlichen Theorien widerspricht, stösst zwangsläufig auf starke intuitive (d.h. rational nicht begründbare) Ablehnung. Bei einem negativen Bescheid wäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir eine Zeitschrift angeben könnten, die Ihrer Meinung zu einer Veröffentlichung bereit sein könnte.

Für den Fall, dass Sie Interesse hätten, gäbe es noch das Problem mit den Rechten. Ich möchte jederzeit die Möglichkeit haben, die Schrift zu verbessern, zu erweitern oder sonst wo zu verwenden. Wer sich im philosophischen und wissenschaftlichen Denken orientieren will, ärgert sich, wenn er sich das Wesentliche eines Autors aus vielen Quellen zusammenlesen muss, nur weil der Autor, anstatt seine bisherigen Veröffentlichungen zu verbessern und zu erweitern, immer nur neue Artikel und Bücher geschrieben hat. Das rasante wissenschaftliche Wachstum sollte wenigstens teilweise durch ökonomischere Vermittlung aufgefangen werden.

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Ich werde zu einer durchgehend evolutionären, das Lebendige einschliessenden Sicht der Physik gelangen, die in gewisser Hinsicht als quantisierte (monadisierte) Version von Rupert Sheldrakes universalem Gedächtnis angesehen werden könnte. ...

Kooperation (zwischen Psychonen) und Domination (ein Psychon dominiert eine Gruppe von Psychonen) sind die Prinzipien, die durch vielfache (rekursive) Wiederholungen auf immer komplexeren Stufen auch zur Entstehung menschlicher Seelen aus primitiven Psychonen geführt haben. Während im Pflanzenreich Kooperation vorherrschen dürfte, werden Tiere meist durch ein Psychon dominiert. ...

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Dass sich die moderne Physik in einer Situation befinden könnte, wie die Astronomie zu Kopernikus Zeiten, wurde schon verschiedentlich bemerkt (z.B. von Franco Selleri). Die kopernikanische Astronomie war in quantitativer Hinsicht ein Rückschritt gegenüber der sehr komplizierten damals anerkannten. Aber der qualitative Fortschritt ermöglichte dann bei Kepler einen quantitativen. Albert Einstein, der sich vielleicht am intensivsten mit dem Fundament der Physik auseinandergesetzt hat, kam je länger je mehr zum Schluss, dass nicht nur die Quantenmechanik sondern auch die Relativitätstheorie falsch ist.

Ich bin jederzeit bereit, meine Thesen gegen Einwände, von welcher Seite auch immer, zu verteidigen. Für Anregungen und Kritiken wäre ich Ihnen dankbar.


30.6.1996

an Bild der Wissenschaft

Sind Ihnen noch nie Zweifel gekommen, ob das, was die theoretischen Physiker vorbringen, tatsächlich mehr als nur intellektuelle Kunstwerke sind? Aussagen über Objekte einer Grösse von 10-35 m oder Teilchen mit einer Lebensdauer von 10-25 s diskreditieren sich als echte Erkenntnis eigentlich von selbst.

Der Autor beigelegter Schriften hat sich jahrelang mit den erkenntnistheoretischen Grundlagen der Physik auseinandergesetzt und ist im Prinzip zu demselben Urteil gekommen, zu dem Kant in seiner Auseinandersetzung mit der Metaphysik kam. Er hat auch öfters den Versuch gestartet, sich mit Physikern auseinanderzusetzen, musste aber immer erfahren, dass diese einer Diskussion auswichen.

Der Autor stellt viele schwerwiegende Thesen auf. Wenn Sie (oder andere) beim Überfliegen seiner Texte auf eine begründbar unsinnige oder falsche These stossen, haben Sie das Recht, von dieser einen These auf alle seine Thesen zu schliessen, denn man kann von niemandem verlangen, sich längere Zeit mit offensichtlichem Unsinn abzugeben.

Wenn Wissenschaft für Sie mehr ist als das, was von der Mehrheit des wissenschaftlichen Establishments zur Wahrheit erklärt wird, sollten Sie Kritik an ihr, auch von einem Aussenseiter, nicht von vornherein ablehnen. Für den Fall, dass Sie die Schriften einem Physiker zur Kritik geben sollten, dürfte folgendes passieren: Der Physiker dürfte die Argumentation ganz allgemein als auf falschen (vorrelativistischen) Prämissen basierend kritisieren und vorbringen, dass viele der Argumente schon längst widerlegt seien. Er wird es aber zu vermeiden suchen, seine eigenen Argumente zu konkretisieren oder gar schriftlich zu fixieren.

Diese Auseinandersetzung um das Fundament der Physik ist im Gegensatz zu vielen Auseinandersetzungen innerhalb der modernen Physik für interessierte Laien mit physikalischer Grundbildung nachvollziehbar und somit von allgemeinem Interesse. Aber das Nichtverschweigen solcher Ideen wird natürlich als 'den eigenen Kollegen in den Rücken fallen' empfunden. ...

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6. Aug. 1996

An Spektrum der Wissenschaften

Betrifft: 'Albert Einstein und die Schwarzen Löcher', 8/1996

Jeremy Bernstein's interessanter Artikel zeigt einmal mehr, dass Albert Einstein seinen Theorien viel kritischer gegenüberstand, als viele andere Physiker, und dass für ihn die Vernunft wichtiger war als Dogmatik. Er zog auch insofern die Konsequenzen aus den Schwarzen Löchern, als er (wie vor allem seine letzten Briefe belegen) immer mehr zur Überzeugung kam, dass die Relativitätstheorie genauso wenig richtig sein kann, wie die Quantenmechanik.

In beigelegten Schriften finden sich mindestens zwei überzeugende Argumente gegen Schwarze Löcher.

Die Relativitätstheorie basiert darauf, dass sich Gravitationsfelder und e.m. Strahlung in gleicher Weise mit c ausbreiten. Bei Schwarzen Löchern breiten sich Gravitationsfelder aber fundamental anders aus, als e.m. Strahlung. Das zweite Argument ist noch viel überzeugender und kann direkt aus 'Das Fundament der Physik', S. 15-16' zitiert werden:

...

Ich persönlich stimme mit dem Verfasser beigelegter Schriften auch in Folgendem überein: Der Widerspruch ist so einfach und klar, dass man ihn nicht als scheinbaren Widerspruch abtun kann; wer ihn kennt und verschweigt, verlässt den Boden wissenschaftlicher Redlichkeit. ...


22. Aug. 1996

Betrifft: 'Die fixe Idee' aus 'In Liechtenstein'*

Wer an der Sicherheit des Fundaments eines neu erstellten Hauses zweifelt, wird sich kaum daran beteiligen, die Wasserhähne der oberen Stockwerke zu vergolden. So gesehen war Einstein richtig beraten, seine Energie nicht in erster Linie an die neuesten 'Erkenntnisse' der Physik zu verschwenden. Dass seine Denkarbeit nach seinen 'Erfolgen' nicht weniger fruchtbar war, als die der "brillanten jungen Physiker", können Sie aus den beiliegenden Schriften ersehen.

Einstein war sich bewusst, dass die 'moderne Physik' auf im Prinzip willkürlichen Prämissen basiert und dass diese Prämissen falsch sein müssen, wenn es nicht gelingt, bei ihrer konsequenten Anwendung die vielen noch offenen Widersprüche der 'modernen Physik' zu lösen.

Dass Wissenschaftler, wissenschaftliche Zeitschriften und Verlage genauso wenig Interesse an den Thesen der 'Gesammelten Schriften' haben, wie die "brillanten jungen Physiker" an Einsteins berechtigter Kritik, dürfte Ihnen klar werden, wenn sie z.B. S.22 kurz überfliegen. Diese Thesen widersprechen dem heutigen wissenschaftlichen Weltbild etwa so stark, wie eine Erdbewegung von über 100 000 km/h zu Kusanus', Kopernikus' oder Keplers Zeiten dem damaligen und erscheinen etwa so ketzerisch, wie die Thesen von Spinozas Theologisch-Politischem Traktat.

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* August-Ausgabe NZZ-Folio


13.9.96

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Ihre Kritik am Fehlen von Literaturangaben bei der Arbeit zur Relativitätstheorie von 1905 scheint mir mindestens stark übertrieben. Ich weiss nämlich, wie schwierig es wäre, für 'Das Fundament der Physik' eine korrekte Literaturangabe zu machen. Kann ich mir merken, wo und wann ich etwas gelesen habe, das schliesslich zu einer Erkenntnis beigetragen hat? Sollte ich etwa die Synchronizität zum Vorläufer der 'finalen Naturgesetze' machen? Selbst in dem Fall, wo ich (im Vertrauen auf Feuerbach) die 'Monaden' von Leibniz zum Vorläufer der Psychonen gemacht habe, musste ich nachher die Willkür dieses Schritts erkennen. Die 'Individuen' aus den Postulaten von Spinozas Lehrsatz 13, Teil 2 haben sogar schon die zwei Aspekte der Psychonen. Der Begriff 'Monade' findet sich schon bei Bruno, das zugrundeliegende Konzept der Allbeseeltheit der Natur auch bei Campanella, Paracelsus und Kusanus und sicher auch bei noch früheren Denkern. (Zudem ist mir der nach Quantität und Quantifizierbarkeit ausgerichtete Zitierst-du-mich-zitier-ich-dich-Wissenschaftsjournalismus nicht allzu sympathisch.)

Es ist interessant, dass der alte Einstein sich gezwungen sah, Kant (neben Poincaré) vor den von Reichenbach aus der Relativitätstheorie gezogenen erkenntnistheoretischen Folgerungen in Schutz zu nehmen (in Schilpp). Einsteins Anteil an der speziellen Relativitätstheorie zeichnet sich gegenüber dem von Poincaré und Lorentz primär durch die philosophische Bedeutung aus, die er den Formeln gab. Einstein konstruierte mit den kantischen Anschauungsformen von Raum und Zeit eine physikalische Raum-Zeit, aber wie Kant gelangte er noch zu keiner bewussten Unterscheidung dieser zwei Konzepte, die so zueinanderstehen, wie der Massstab zum Gemessenen.

Wie Sie die Aussage Kants zur Kanonenkugel (zumindest in der auf S.80 präsentierten Form) kritisieren, halte ich für unberechtigt. Die Frage ob ein Projektil im Rohr oder ausserhalb davon seine höchste Geschwindigkeit erreicht, hängt davon ab, ob im Moment des Durchgangs des Projektilmittelpunkts durch die Rohröffnung der Druck von hinten oder von vorne (relativ zur Projektilbewegung) grösser ist, was u.a. von der Rohrlänge abhängt. Wenn Kant sagt, jede Zustandsänderung verlange eine Ursache von aussen, hat er völlig recht, ausser man interpretiert 'Zustandsänderung' gewaltsam als 'Ortsänderung'.

Die Frage nach dem 'gesunden Menschenverstand' ist äusserst interessant. Man muss dabei zwei Komponenten klar unterscheiden. Einerseits widerspricht alles dem gesunden Menschenverstand, was (logisch, synthetisch apriori) widersprüchlich ist. In dieser Hinsicht muss die Relativitätstheorie leider als dem gesunden Menschverstand genauso widersprechend angesehen werden wie die Maxwellsche Theorie. Sich evolutionär entwickelnde Psychonen hingegen sind in sich widerspruchsfrei, widersprechen aber der anderen Komponente des gesunden Menschenverstandes. Diese Komponente lässt sich gut durch die Begriffe 'Denkgewohnheiten' und 'Vorurteile' charakterisieren. Die Gedanken, aus denen sich das Weltbild eines Menschen zusammensetzt, sind genauso eingeübt worden, wie die Bewegungsabläufe verschiedener Sportarten.

Nur schon der Energiebedarf beim Transport zeigt, dass Aristoteles auf der Erde mit seiner Behauptung recht hat, dass die Bewegung eines Körpers nur durch eine Kraft aufrecht erhalten werden kann. Galileis Gedankenexperiment (S.70) funktionierte zu seiner Zeit eigentlich mehr in der Theorie als in der Praxis. Eine grosse Gefahr, der nicht nur Galilei erlag, ist unzulässiges Verallgemeinern.

Ihrem Plädoyer für die Idee der Komplementarität möchte ich die von Einstein trotz vieler darauf verwandter Mühe (noch) nicht gefundene scharfe Formulierung des Komplementaritätsprinzips (Schilpp, S.241) auf Seite 10 von 'D.F.d.P.' entgegensetzen. ...

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27.9.96

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Zu den 'Begründungsproblemen der Mathematik' sagen Sie, dass einzig der konsequente Finitismus die Lösung aller Widersprüche ist. Wie so öfters kann ich dieser Aussage meine Zustimmung geben oder verweigern, je nachdem wie ich sie interpretiere. So wie Sie lehne auch ich das aktual Unendliche ab. Das Verhältnis von Kreisumfang zu Durchmesser lässt sich durch keine Dezimalzahl ausdrücken, denn diese müsste aktual unendlich sein. Aber etwas, das nie aufhört, darf nicht als Ganzes gegeben oder gar begrenzt (von transfiniten Zahlen) angesehen werden. Ob aber der (nicht einheitliche) Gebrauch und die Unterscheidung der Begriffe 'aktual' und 'potentiell Unendlich' wirklich der Weisheit letzter Schluss sind, bin ich mir nicht sicher.

Es ist mir nicht ganz klar, ob Sie die Aussage "Ein Punkt hat keine Ausdehnung" für falsch halten. In der Informatik haben reelle Zahlen sozusagen eine Ausdehnung und werden von benachbarten Zahlen begrenzt. Die Ausdehnung hängt aber nur von der internen Datenrepräsentation ab und ist somit völlig willkürlich. Wenn man so eine Willkür vermeiden will, muss man den idealen Zahlen (d.h. Punkten auf einer idealen Zahlengeraden) jede Ausdehnung absprechen.

Von der Menge aller Teilmengen der natürlichen Zahlen zu reden, halte ich für unsinnig, denn wie soll man von etwas, das nicht (als Ganzes) gegeben ist, alle Teilmengen bilden können. Früher einmal hielt ich diese Problematik für die Ursache der Russelschen Antinomie, auf die die Annahme der Menge R aller Mengen, die sich nicht selbst als Teilmenge enthalten, führt. Das Wesentliche der Russelschen Antinomie ist aber unabhängig vom Problem des Unendlichen. Es ist schon in der (ich glaube, auch von Russel stammenden) Antinomie des Barbiers enthalten, der alle diejenigen rasieren soll, die sich nicht selbst rasieren. Noch einfacher wird die Antinomie, wenn man von allen verlangt, sich mindestens 3 m vom Barbier zu entfernen, eine Forderung, die der Barbier selbst unmöglich erfüllen kann.

Es ist klar, dass Säcke nicht zyklisch ineinander gesteckt werden können, wie z.B. Sack 1 in Sack 2, 2 in 3 und danach 3 wiederum in Sack 1. Wenn wir aber neben den nummerierten Säcken auch Referenzen auf die Säcke, d.h. (Zettel mit) ihre(n) Nummern, in andere Säcke stecken können, sieht die Sache anders aus: Wir können Sack 1 in 2, 2 in 3 stecken und die Nummer 3 in Sack 1 stecken. Wenn wir fordern, in einen Sack die Nummern aller derjenigen Säcke zu stecken, in denen sich keine Nummer von sich selbst befindet, so haben wir die Russelsche Antinomie ohne das Problem der Unendlichkeit.

Ich bin nicht der Meinung, dass die Physiker den Äther voreilig aufgegeben haben. Ein einfacher Äther, der von den Körpern mitgezogen wird, wird durch die Aberration der Sterne ganz einfach widerlegt, man kann es drehen und wenden wie man will. Zudem stellt sich die Frage, ob ein kleiner Gegenstand den Äther genauso mitzieht, wie es die ganze Erde tut.

Ihre Ausführungen zum Zwillingsparadox sind sehr interessant. Sie zeigen, dass das Problem nicht trivial ist und dass bei vielen Kritikern, die dieses Paradox als Widerlegung der LTG oder auch nur der Relativitätstheorie ansahen oder ansehen, Vorurteile eine stärkere Triebfeder sein dürften als das echte Verständnis eines logischen Widerspruchs. Vielleicht werden mir Ihre Ausführungen einmal nützlich sein. Im Moment beschäftige ich mich mehr mit der Geschichte der Philosophie als mit Physik. ...

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3.10.1996

An Bild der Wissenschaft

ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie Prof. Bernd-Olaf Küppers die 'Gesammelten Schriften' zukommen lassen könnten. Das von diesem herausgegebene Lesebuch 'Leben = Physik + Chemie' und v.a. auch die dazu verfasste Einleitung haben mich über viele Jahre bei der Entwicklung meiner Gedanken begleitet, die schliesslich zu den Thesen von 'Physik, Evolution, Bewusstsein' geführt hat.

Die 'Gesammelten Schriften' mögen in mancher Hinsicht respektlos und frech erscheinen. Auch wenn der Reduktionismus darin so etwas wie ein Feindbild spielt, ist das nicht nur gegen andere Wissenschaftler (in ihrer Funktion als Wissenschaftler, nicht als Menschen) sondern in gleicher Weise gegen eigene Versuche gerichtet, die Welt reduktionistisch zu erklären. (Ähnlich verhält es sich mit Feindbildern der Schiften Ludwig Feuerbachs.)

Prof. Küppers ist sicher einer der besten Vertreter des methodologischen Reduktionismus. Es sind gerade diejenigen, die ein Prinzip konsequent vertreten und trotzdem nach grösstmöglicher Kohärenz und Transparenz streben, die dem wissenschaftlichen Fortschritt am meisten dienen, und zwar vor allem dann, wenn sich das Prinzip als nicht-allgemeingültig oder falsch herausstellt. Es wäre äusserst ungerecht und naiv, Schadenfreude gegenüber denen zu zeigen, die durch ihr konsequentes Festhalten an einem irrtümlichen Prinzip am stärksten zu dessen Überwindung beigetragen haben.

So wusste schon Ludwig Feuerbach: "Allein auch im Geiste, auch in unserer freiesten Produktion hängen wir alle, Vergangene, Gegenwärtige, Zukünftige aneinander, wie die Perlen an Einer Schnur. Es denkt und schreibt jeder auf Kosten des Anderen. ... Die Gedanken, die wir für unsere eigensten, unabhängigsten halten, und in selbstständigen Büchern zu edieren uns einbilden, sind nur Teile eines grossen Werks, die sich bon gré mal gré auf die vorangegangenen beziehen. Unsere besten Originalwerke sind nur Plagiate ... Und gerade die grossen Schriftsteller, denen wir am meisten Originalität und Selbstständigkeit zuschreiben, beweisen es auf das Unverkennbarste, dass sie nur Resultate, notwendige Produkte vorangegangener Entwicklungen sind."


11.11.1996

Als erstes möchte ich Ihrer Neugier mit einem kurzen Lebenslauf entgegenkommen. Am 1.7.1961 schnappte ich in Feldkirch, Vorarlberg das erste Mal nach Luft, besuchte in Liechtenstein 5 Jahre die Volkschule und danach 8 Jahre das Gymnasium (B-Typ). Nach der Matura verdiente ich etwas Geld, reiste und begann als Junior-Programmierer (nach einer halbjährigen Ausbildungsphase) zu arbeiten. Aber schon im Herbst 1982 nahm ich in Zürich an der ETH ein Informatik-Studium auf. 1984 wechselte ich nach Lausanne, wo ich 1986 die Abschlussprüfung absolvierte. Während der Diplomarbeit brach ich das Studium ab. Der Tod meines Bruders am 27.2.1987 veranlasste mich zu einem Canossa-Gang nach Lausanne (wer glaubt denn schon, dass der liebe Sohn aus freien Stücken das Diplom verwirft?), wo ich die Diplomarbeit dann im Spätsommer fertigstellte. Meine Brötchen verdiene ich als Programmierer, wobei ich es mir die letzten eineinhalb Jahre erlaubte, noch weniger zu arbeiten als während des Studiums.

Eine ausgeprägte Eigenschaft von mir ist, das zu suchen und herauszustreichen, wo sich meine Meinung von der eines anderen unterscheidet. Wenn ich mit jemandem zu 99% übereinstimme, interessiert mich nur das restliche Prozent. Nicht alle meine Bekannten und Verwandten sind davon begeistert, denn sie haben den Eindruck, ich würde prinzipiell immer nur dagegenreden.

Ihren Aussagen zum mathematischen Punkt kann ich nicht zustimmen. Ich vertrete nämlich die Meinung, die u.a. von Spinoza und Kant vertreten wurde. Da ich annehmen kann, dass Sie nicht leichtfertig Ihre Meinung vertreten, möchte ich im Folgenden versuchen, den Grund unserer Meinungsverschiedenheit herauszuarbeiten. Es würde mich irritieren, wenn das, was ich auf S.20 von 'D.F.d.Ph.' geschrieben habe, nicht haltbar wäre.

Oft bezichtigen sich Menschen gegenseitig flagranter Widersprüche und des gröbsten Unsinns, nur weil in ihren Köpfen dieselben Worte mit unterschiedlichen Begriffen assoziiert sind. Den Begriff eines ausdehnungslosen Punkts halte ich für logisch widerspruchsfrei. Ich sehe keine Paradoxien, die aus diesem Begriff folgen könnten. Mein Begriff von 'geometrischer Punkt' ist der des ausdehnungslosen Punkts (auf einer idealisierten Gerade, Ebene ...). Da eine geometrische Strecke sich somit nicht aus Punkten zusammensetzt (wie die Menge der natürlichen Zahlen aus eben diesen Zahlen), beruht die Frage nach der Aufzählbarkeit aller Punkte der Strecke insofern auf einer Kategorienvermengung als Punkte 0-dimensional und Strecken 1-dimensional sind. (Auch ein 3-dimensionaler Körper setzt sich nicht aus 2-dimenensionalen Ebenen zusammen.)

Bei der Koch-Kurve (siehe Beilage) ist jede Kurve Kn+1 4/3 mal länger als Kurve Kn. Es gibt keine Grenzwertkurve K. Hingegen konvergiert 0.01001000100001... (Zahl von Liouville) genauso gegen einen Punkt auf der idealisierten Zahlengerade wie 0.99999... gegen 1.0. Während wir im zweiten Fall den Punkt, gegen den konvergiert wird, im Dezimalsystem benennen können, können wir es ersten Fall nicht. Da der Sprachgebrauch nicht apriori gegeben ist, ist es müssig darüber zu streiten, ob auf der Zahlengeraden ein Punkt von Liouville 'existiert'. Man kann mit gutem Recht sagen, dass dieser Punkt irgendwie weniger Existenz hat als z.B. die Punkte 3, 1/3, √3 oder auch π.

In Ihrer Sichtweise ist die Annahme einer gegebenen zufälligen reellen Zahl, die zwangsläufig zu einer endlosen Zehnerbruchentwicklung führt, unzulässig, denn Sie sprechen (sofern ich Sie richtig verstehe) nur benennbaren (und somit auch abzählbaren) Zahlen Existenz zu. Für mich drücken Zahlen das Verhältnis der Längen idealer Strecken aus, die abrupt beginnen und enden, d.h. die Strecken werden (nicht wie reale Strecken durch kleinere Strecken sondern) durch ausdehnungslose Punkte begrenzt. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Längenverhältnis zweier zufälliger Strecken einer rationalen Zahl entspricht, ist Null.

Auf jeden Fall würde mich sehr interessieren, wie Sie das Unendliche auf Ihre Weise zu Ende gedacht haben. Recht haben Sie sicher, wenn sie sagen, dass in der speziellen Relativitätstheorie noch längst nicht alles zu Ende gedacht worden ist. Nur hat die Relativitätstheorie für mich nur mehr mathematische Bedeutung, denn beschleunigte Bewegungen führen in ihr zu unlösbaren Widersprüchen.

Seit 1988 habe ich mich bemüht, Physiker zu einer Kritik von 'Ein Gedankenexperiment, das ... auf einen Widerspruch führt' und 'Warum die LTG das M.M.-Experiment nicht erklären können' herauszufordern. Nicht einmal der Ansatz eines Arguments wurde dagegen vorgebracht. Franco Selleri, den ich als Physiker wegen seiner Bücher 'Fisica senza dogma' und 'La causalità impossibile' sehr schätze, stimmt hier sogar mit mir überein, wie Sie aus beiliegenden Kopien, die mir Selleri als Antwort geschickt hat, ersehen können.

Selleris 'inertial transformations' sind meiner Meinung aber empirisch unhaltbar, und zwar aus folgendem Grund: <Es gibt ein privilegiertes Inertialsystem und absolute Gleichzeitigkeit. Wenn die Erde sich mit 300 km/s (viel weniger dürften es kaum sein) relativ zu diesem Inertialsystem bewegt, würde daraus folgen, dass man einen Satelliten so platzieren kann, dass ein Signal von der Erde zu ihm 1.002 mal länger braucht als in die umgekehrte Richtung.>

Es ist interessant, dass die 'inertial transformations' irgendwie eine Vorstufe zur Lorentz'schen Sicht darstellen, die ihrerseits eine Vorstufe zur Relativitätstheorie darstellt. In der Lorentz'schen Sicht würden sich Erde und Satellit mit Messgeräten gemäss den LTG so verändern, dass die gemessene Lichtgeschwindigkeit in alle Richtungen konstant bliebe. Da der Raum unverändert bliebe, würden auch aus der Lorentz'schen Sicht obige Zeitunterschiede bei der Signalübertragung folgen. Will man diese Zeitunterschiede vermeiden, landet man bei der Relativitätstheorie.


11.11.1996

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Ich kann Ihnen versichern, dass mir noch von keiner Seite auch nur der Ansatz einer Widerlegung zuteil wurde. Im Wissenschaftsbetrieb fühlt sich kein Schwein verantwortlich. Berechtigte Kritik wird (oft mit dem Hinweis auf die viele unberechtigte) einfach übergangen. Als Kritiker der modernen Physik unterscheide ich mich himmelweit von vielen anderen Kritikern. Im Schnitt ist das Niveau der 'offiziellen' Physiker höher als das der Aussenseiter. Die meisten, die die Relativitätstheorie ablehnen, tun dies nur aus Vorurteilen und nicht aus echtem Verständnis eines logischen Widerspruchs. Und selbst wenn Kritiker Widersprüche der Relativitätstheorie richtig erkannt haben sollten, übersehen oder ignorieren sie meist viel offensichtlichere Widersprüche der eigenen Alternativen.

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Die Angst, die 'Gesammelten Schriften' und deren Verfasser könnten die ohnehin nur mehr schwer zu beschaffende Finanzierung der theoretischen Physik weiter erschweren, ist im Wesentlichen nicht berechtigt. Wenn ich einen Einfluss auf Wissenschaft und Gesellschaft ausüben möchte, dann nur in Richtung von mehr Transparenz, Vernunft und Wahrheitsliebe. Ich halte die Riesenprojekte der Teilchenphysik für berechtigt, denn der Weg (der technologische Fortschritt) ist das Ziel. Wenn wir Menschen uns nicht blöd konsumieren wollen, muss entweder der Anteil von wissenschaftlichen und kulturellen Tätigkeiten grösser werden, oder immer mehr Menschen werden zum Nichts-tun verdammt (Kriege als Tätigkeitsbeschaffung werden immer riskanter und undurchführbarer).

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12.12.1996

Sehr geehrter Peter Moosleitner,

da Sie an der Aussenseiterfrage als direkt Betroffener nicht uninteressiert zu sein scheinen und Sie ja nicht gezwungen sind, diesen Brief zu lesen, nutze ich die Gelegenheit zu einer Kritik von Paul Davies' Artikel1 für dessen Zusendung ich Ihnen herzlich danke.

Es ist möglich, dass alle Arbeiten von Aussenseitern, die Davies zu Gesicht bekommen hat, wenig taugen. Es ist richtig, dass man oft durch kurzes Überfliegen eine Arbeit als nicht stichhaltig erkennen kann. Dass dabei aber Vorsicht geboten ist, lässt sich gut an Davies' Ausführungen aufzeigen:

Davies schreibt, dass Pluto sich nicht stärker als Neptun der Sonne nähern könnte, wenn die Planeten Kreisbahnen hätten. Dies ist offensichtlich falsch. Wie kommt aber ein solcher Irrtum zustande? Davies geht unbewusst schon davon aus, dass Planetenbahnen Ellipsen sind, in deren jeweils einem Brennpunkt die Sonne steht; und wenn unter dieser Voraussetzung die Planetenbahnen kreisförmig sind, steht die Sonne zwangsläufig im Zentrum aller Planetenbahnen. (Zudem könnte die Entfernung Plutos von der Sonne eine alternative Theorie nicht widerlegen, da diese Entfernung im Gegensatz zu Plutos Ort am Himmel kein empirisches Faktum ist, sondern aus der Gravitationstheorie erst abgeleitet wird.)

Jedenfalls hätte Davies unter Berufung auf Bernsteins erstes Kriterium ein kurzer Blick genügt, um festzustellen, dass Keplers Theorie über die Planetenbahnen keinen Wert hat, denn diese Theorie war damals zum bisherigen Wissen so wenig konsistent, dass selbst Galilei sie bekämpfte.

Davies erwähnt eine ihm zugeschickte Gravitationstheorie, die postuliert, dass der Weltraum mit unsichtbaren, dahinrasenden Teilchen angefüllt sei. Während aber diese Theorie wenigstens qualitativ Anziehung erklären kann (und gut kritisierbar ist), können die nicht beobachtbaren, sich mit Lichtgeschwindigkeit in alle Richtungen ausbreitenden Gravitonen Anziehung nicht einmal qualitativ erklären ('Das Fundament der Physik', S.7 unten und S.11 oben). Und was die Theorien betrifft, die keinerlei Angriffspunkte bieten, weil kein Experiment vorstellbar ist, das sie falsifizieren könnte, da ist die theoretische Physik inzwischen selber Meister (siehe beigelegter Artikel2 von R.L.Oldershaw).

Dass die spezielle Relativitätstheorie schon zwei Jahre nach Einsteins diesbezüglicher Veröffentlichung Stand der Erkenntnis gewesen sei, ist stark übertrieben. Zudem war die spezielle Relativitätstheorie physikalisch keineswegs revolutionär. Es gab eine kontinuierliche Entwicklung, an der v.a. Lorentz und Poincaré beteiligt waren. Revolutionär war diese Theorie nur philosophisch. Für die Physiker änderte sich wenig: Sie hatten ein paar Probleme weniger und konnten in etwa weitermachen wie bisher.

Der den Artikel abschliessende gute Rat betrifft mich sicher nicht, denn meine Haupt-Heureka-Zeit ist schon viele Jahre vorbei. Daher retourniere ich ihn in modifizierter Form an die theoretischen Physiker: <Sperren Sie alles Ihr Fachgebiet betreffende in eine Schublade, und machen Sie sich einige Jahre lang mit den erkenntnistheoretischen Grundlagen der Physik und der Geschichte der menschlichen Erkenntnisse und Irrtümer vertraut.>

1 P.M. 11/94, S. 18 - 23

2 Am. J. Phys. 56, Dec. 1988, S. 1075 -1081


3. 3.-3

Geschätzter Kollege,

aller guten Dinge sind drei!

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Inzwischen hat der neunte Monat seit Fertigstellung der 'Gesammelten Schriften' begonnen. Bis jetzt ist kein einziges Argument dagegen bis zu mir vorgedrungen, aber weitere dafür. Von 'offizieller' Seite hat niemand es für nötig empfunden oder den Mut aufgebracht, mir mehr als Nichtssagendes zu antworten. (Allzu oft habe ich es auch nicht versucht, ich bin ja kein Hausierer). Ich würde liebend gerne meine Thesen verteidigen (trotz diverser Risiken), aber wo kein Angriff, da auch keine Verteidigung.

Einerseits wird mein Geld immer weniger und andererseits reut mich die Zeit immer mehr, es zu verdienen (obwohl ich durch Programmieren viel gelernt habe), denn mir fehlt so schon die Energie, all das zu tun, was ich gerne täte. Einerseits liebe ich das unabhängige Studieren, andererseits weiss ich, dass Vieles nur in Zusammenarbeit mit anderen möglich ist. Einerseits möchte ich meinen Frieden und meine Freiheit, andererseits habe ich schon 1986 die Weltrevolution angekündigt (was mir bis heute manchmal vorgehalten wird).

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Zum Begriff 'kopernikanische Revolution' noch Folgendes: Öfters, so auch bei Ihnen, liest man, dass Kants Weltsicht eher eine ptolemäische Gegenrevolution darstelle, und Vertreter der 'evolutionären Erkenntnistheorie' bezeichnen diese Weltsicht gar als arrogant, der sie die vermeintliche Bescheidenheit der eigenen Sicht (wir erkennen die Welt deshalb so, wie wir sie erkennen, weil sie so ist, wie wir sie erkennen; sum, ergo cogito) entgegensetzen.

Kopernikus erkannte, dass das, was wir am Himmel wahrnehmen, von unserem bewegten und somit keineswegs absoluten Standpunkt abhängt. Kant meinte, dass alles, was wir (subjektiv, intersubjektiv) von der Welt wahrnehmen, genauso wenig absolut ist, sondern von der menschlichen Vernunft abhängt. Während Kopernikus in einem zweiten Gedanken einen absoluten Standpunkt (bei ruhenden Fixsternen) finden konnte, hielt Kant dies im Erkennen der Natur für unmöglich: Die (von uns wahrgenommene) Natur bleibt immer in wesentlicher Hinsicht durch die subjektiven Gesetze bestimmt, die wir in sie hineinlegen. Einstein scheiterte dann beim Versuch, so einen zweiten Gedanken in der Raum-Zeit-Problematik zu wagen.

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Es ergeben sich unerwartete Möglichkeiten: So könnte z.B. das Geburtsdatum von Albertus Magnus auf 1198-1200 eingeengt werden, wenn es sich bei ihm um den Nachmensch von Averroes (davor Al Ghazali?) handeln sollte, was durch wissenschaftliche Untersuchung endscheidbar sein dürfte (natürlich nicht mit 100.0%-iger Sicherheit). Die 'translatio studiorum' von Griechenland, über ... und 'Arabien' nach Europa bekommt einen neuen Aspekt.

...

Die Verringerung der Information ist nicht nur beim Sehen wichtig, sondern wäre auch in unserer Informationsgesellschaft bitter nötig. Anstatt immer mehr Informationen anzuhäufen und die Lehrbücher immer dicker werden zu lassen, wäre es an der Zeit, das bisher Erreichte zu überarbeiten, Falsches und Unwesentliches auszusondern und den Rest besser zu strukturieren.

Wir verschwenden einen grossen Teil unserer geistigen Energie, um willkürliche Worte für unklare und oft überflüssige Begriffe zu lernen. Im Gegensatz zur Ziffernfolge von Zahlen wird der Informationsgehalt der Buchstabenfolgen von Worten kaum genutzt. Während die Zeichenfolge '369' die entsprechende Zahl genau definiert, lässt sich aus Zeichenfolgen wie 'Schwefel', 'Molybdän' oder 'Europium' keine Information gewinnen. Sprachphilosophische Untersuchungen haben in mehr als 2000 Jahren viele Erkenntnisse hervorgebracht. Weil solche Erkenntnisse aber kaum je zur Verbesserung von Sprachen geführt haben, treten dieselben sprachbedingten Fehler immer wieder auf, obwohl sie schon längst beschrieben und gelöst worden sind.

Mich persönlich würde echt interessieren, ob es z.B. Neutrinos oder Antimaterie wirklich gibt, wie gefährlich Radioaktivität oder HIV-Viren wirklich sind, wie stark das Prinzip der sich selbst erfüllenden Prophezeiungen da mitspielt und vieles mehr. Vor allem das Erstellen und Verbreiten wissenschaftlicher Studien sollte überdacht werden. Was schadet es uns z.B., wenn die Wahrscheinlichkeit, dass wir an Krankheit X sterben, sich von 0.000 001 auf das 10-fache! erhöht. Wissenschaftliche Studien sollten mehr empirische Fakten und weniger auf fraglichen Prämissen basierende Hochrechnungen präsentieren. (Bei den letzten Horrorzahlen über AIDS, die ich gelesen habe, wurden sogar schon die wegen AIDS anscheinend nicht Geborenen dazugezählt.)

Trotz gelegentlicher Versuche ist es mir nicht einmal gelungen, die wechselseitige Anziehung und Abstossung zweier stromdurchflossener Leiter mir verständlich zu machen, und dieses Phänomen dürfte wohl kaum durch zukünftige Experimente widerlegt werden.


3. April 1997

An raum & zeit

falls der Artikel 'Einstein als Schimäre der orthodoxen Physik' als Antwort auf die 'Gesammten Schriften' gemeint war, würde mich das freuen. Aber was Sie mit dem Satz "Nach dem Kriege hat die Physik weltweit eine andere Richtung genommen als noch in den dreissiger Jahren zu vermuten war" meinen, ist mir nicht klar. Am ehesten einen Sinn ergibt für mich folgende Interpretation: Nach dem Krieg hat die Physik weltweit eine andere Richtung genommen als sie beim Endsieg genommen hätte. (Entschuldigen Sie, falls ich Sie bös fehlinterpretiere!) Jedenfalls hat die Physik eine immer dogmatischere Richtung genommen, der Einstein keineswegs zustimmte.

Es ist nicht die Relativitätstheorie, die zu einer geistigen Invalidität führt, sondern das sture Festhalten an Dogmen trotz vernünftiger Gegenargumente. Ich kann gut verstehen, dass es für Gotthard Barth bitter war, erkannt zu haben, dass mit der Relativitätstheorie etwas nicht stimmen kann, er aber nicht in der Lage war, die orthodoxen Physiker von ihrem Glauben abzubringen. Aber andererseits muss man auch die Physiker verstehen, denn Barth's Vorstellungen sind in vieler Hinsicht weit konfuser als die Relativitätstheorie.

Als Freund polemischer Lektüre hätte ich Barth's Artikel sehr genossen, würden da nicht die Misserfolge und die Frustration des Autors allzu sehr durchschimmern.

Jedenfalls der Ausdruck 'kleiner Abschreiber' dürfte den Nagel auf den Kopf treffen, denn ganz ohne Abschreiben geht es nur selten.


18.4.1997

An Bild der Wissenschaft

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Ich bin der festen Überzeugung, dass dieses Jahrtausend wissenschaftlich ganz anders enden wird, als allgemein angenommen wird. Zu Dolly noch kurz folgendes: Interessant wäre zu wissen, ob das Genspenderschaf noch lebte, als Dolly geboren wurde. Wenn nicht, wird Dolly von normalen eineiigen Mehrlingen klar in den Schatten gestellt und es ist möglich (wahrscheinlich), dass es sich bei der Seele von Dolly um die der Genspenderin handelt, denn diese Seele passt auf jeden Fall zum genetischen Code.

Wenn sich Tiere mit seltenen Eigenschaften schon widersetzen, auf natürlichem Weg beliebig vermehrt zu werden (was von der modernen Genetik nur durch Zusatzhypothesen erklärt werden kann), warum sollte dann der künstliche Weg eine Ausnahme machen?

Wenn sich jemand mit berechtigten Forderungen an eine Bank wendet, kann er nicht erwarten, dass gleich der erste Bankbeamte ihm behilflich ist. Nachdem er sich aber an zwanzig Bankbeamte gewandt hat, ohne dass ihm einer weitergeholfen oder auch nur gesagt hätte, seine Forderungen seien unberechtigt, muss er annehmen, dass die Bank kein Interesse an der Aufklärung seiner Forderungen hat.

Sollte man etwa den Versuch starten, die Wissenschaft über die Boulevard-Presse zu zwingen, sich mit alternativen Modellen auseinanderzusetzen?


13. April 1997

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Als ich 1988 anfing, die Metempsychose-These (trotz intuitiver Ablehnung) in Erwägung zu ziehen, hielt ich die Weltbevölkerungsentwicklung für das stärkste Gegenargument. Inzwischen hat sich die Situation so geändert, dass diese Entwicklung zum stärksten Argument für die These geworden ist.

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Wenn ich einen Unfall oder eine Krankheit nur stark körperlich und geistig behindert überleben könnte, würde ich den Tod vorziehen, da ich glaube, dass meine Seele umso grösseren Schaden nehmen würde, je länger ich in diesem widernatürlichen Zustand leben müsste. Wenn ich einmal abgetrieben worden wäre, würde mich das nicht stören, im Gegenteil, ich wäre dankbar, nicht als unerwünschtes Kind aufgewachsen zu sein.


1.5.1997

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In unserer Wahrnehmung und in unserem Denken spielen assoziative Verknüpfungen eine grosse Rolle. Die Begriffe 'Seele' und 'Seelenwanderung' werden von Wissenschaftlern meist sofort mit Begriffen wie 'unwissenschaftlich' und 'esoterisch' assoziiert. Aber wenn sich bisher unerklärte Fakten (z.B. aus Biologie, Medizin, Psychologie und Demographie) mit 'Seele' und 'Seelenwanderung' einfach erklären lassen, gibt es ausser Dogmatik keinen Grund, diese Begriffe als unwissenschaftlich zu bezeichnen.

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27.5.1997

An bdw-Analyse Klonen

Der Glaube an die Klonierbarkeit von Lebewesen inklusive des Menschen basiert auf folgender Prämisse: Lebewesen lassen sich wie Computer und Software prinzipiell beliebig vermehren. Es gibt aber unzählige Fakten, die gegen diese Reduktionismus-These sprechen.

So lassen sich z.B. Produktionsmengen biotechnologischer Verfahren nicht immer beliebig vergrössern. Viele Tiere beschränken ihre Nachkommen. Nutzpflanzen und Nutztiere lassen sich nicht beliebig vermehren. Gewünschte seltene Eigenschaften von Nutztieren werden vielfach entgegen der Erwartung nicht vererbt. Kinder zu bekommen, ist in vielen Ländern keine Selbstverständlichkeit mehr.

Wenn diese Fakten nicht jeweils spezielle Ursachen sondern eine allgemeine Ursache haben, nämlich die, dass die Reduktionismus-These falsch ist, so wird man auch mit der Gentechnologie keine Superorganismen herstellen und beliebig vermehren können.

Mit einem Bruchteil des Kapitals und der Ressourcen, die in Gentechnologie investiert werden, könnte man die Gültigkeit der Reduktionismus-These abklären, und so eventuell verhindern, dass Unmengen von Kapital und Ressourcen in hoffnungslose Projekte investiert werden. Aber wer interessiert sich denn schon in unserer wissenschaftsgläubigen Informationsgesellschaft für prinzipielle Überlegungen, die zudem das herrschende wissenschaftliche Weltbild in Frage stellen könnten? 


6.6.1997

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Würde man die Bevölkerung Deutschlands der letzten 30 Jahre so aus dem Mangel oder Überschuss an Arbeitskräften ableiten, wie dies einige Autoren für die Antike getan haben, so würde man schliessen, dass es grosse Bevölkerungsschwankungen gegeben haben muss. Auch bekäme man den Eindruck, dass industrielle Ballungszentren wie Berlin zur Zeit des starken Gastarbeiterzuzugs ziemlich entvölkert gewesen sein müssten.

... Wenn in England erst 1874 die Registrierung von Geburten- und Sterbefällen Pflicht wurde (Menschenproduktion, S.139), legt das doch nahe, dass davor ein nicht unwesentlicher Bevölkerungsteil nicht registriert war. Zudem dürften danach Geburten eher gemeldet worden sein als der Tod nicht registrierter Personen. Dass 1851 von den 4 908 696 Kindern Englands zwischen 3 und 15 Jahren exakt 3 015 405 mehr oder weniger streunend gewesen sein sollen (S.137), spricht eher gegen die Seriosität dieser Zahlen. ...

Hitler tat also instinktiv das 'Richtige', um der von ihm favorisierten Rasse zu mehr Fruchtbarkeit zu verhelfen, denn schon immer wuchsen Völker, indem sie andere Völker abschlachteten.


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