Verteidigung der Relativitätstheorie vor unberechtigter Kritik

Die Relativitätstheorie wurde von Anfang an stark bekämpft, und zwar viel stärker als andere falsche Theorien, z.B. die Maxwellsche Theorie oder die Quantenmechanik. Ähnlich emotional bekämpft wurden Erkenntnisse wie die Kugelgestalt der Erde, die Bewegung der Erde und die Evolution der Arten.

Gegner der Relativitätstheorie sagen: "Die Relativitätstheorie verstehen, heisst sie verwerfen". Diese Aussage ist zwar richtig, aber man muss drei Stufen unterscheiden:

1.      Wer auf der untersten Stufe denkt, verwirft die Relativitätstheorie, denn viele Voraussagen wie z.B. reziproke Zeitverlangsamung sind auf dieser Stufe unlösbare Widersprüche.

2.      Um die zweite Stufe zu erklimmen, müssen bestimmte Denkgewohnheiten aufgegeben werden. Dann kann man einsehen, dass Voraussagen wie die reziproke Zeitverlangsamung apriori keine Widerlegung der Theorie darstellen.

3.      Auf der dritten Stufe erkennt man, dass es bestimmte Situationen gibt, in denen es zu unlösbaren Widersprüchen kommt.

Im Laufe der Zeit wurden unzählige Argumente gegen die RT vorgebracht. Die grosse Zahl dieser Argumente wäre aber nur dann ein Argument gegen die RT, wenn diese Argumente untereinander konsistent wären. Ein neues Argument, das gegen die RT spricht, zugleich aber bisherigen Gegenargumenten widerspricht, verkleinert nur die Zahl gültiger Gegenargumente.

Manche vertreten sogar die Meinung, die RT wäre die Lösung eigens dazu erfundener Scheinprobleme. Das Michelson-Morley-Experiment erklären sie ganz einfach: z.B. mit einem mitgeführten Äther oder ohne Äther im Sinne einer ballistischen Lichttheorie. Aber wenn man alles immer ganz einfach erklärt, passiert leicht, dass man bei verschiedenen Erklärungen jeweils von anderen, einander widersprechenden Prämissen ausgeht. Widersprüchlichkeit ist aber ein Problem, das nicht erfunden sondern erkannt wird!

Oft wurde auch versucht, Fehler bei der Herleitung der Lorentz-Transformations-Gleichungen (LTG) aufzuzeigen. Selbst wenn alle Herleitungen falsch wären, blieben die Beziehungen, die durch die LTG ausgedrückt werden, davon unberührt. Um die LTG in einer Dimension herzuleiten, geht von der Galilei-Transformation aus:

x' = x - ß·c t

Der Forderung, dass die Geschwindigkeit (Quotient aus Strecke und Zeit) c auch im Inertialsystem S' unverändert bleibt, kann man leicht nachkommen, indem man die Zeit analog in Abhängigkeit der x-Koordinate wie die x-Koordinate in Abhängigkeit der Zeit transformiert:

t' = t - ß/c x

An konkreten Beispielen kann man sich leicht davon überzeugen, dass die Geschwindigkeit c in S' dieselbe ist wie in S. Bei ß = 0.3 ergibt sich folgendes: Was in S 1 Lichtsekunde pro 1 Sekunde ist, ist in S' je nach Ausbreitungsrichtung 0.7 Lichtsekunden pro 0.7 Sekunden oder 1.3 Lichtsekunden pro 1.3 Sekunden. Die Asymmetrie zwischen S und S'

x' = (x - ß·c t)

t' = (t - ß/c x)

x = (1-ß2)-1 · (x' + ß·c t')

t = (1-ß2)-1 · (t' + ß/c x')

lässt sich einfach beseitigen:

x' = (1-ß2)-1/2 · (x - ß·c t)

t' = (1-ß2)-1/2 · (t - ß/c x)

x = (1-ß2)-1/2 · (x' + ß·c t')

t = (1-ß2)-1/2 · (t' + ß/c x')

In letzter Zeit hat das Buch 'Requiem für die Spezielle Relativität' von Georg Galeczki und Peter Marquardt im deutschen Sprachraum für einiges Aufsehen gesorgt. Ich halte dieses Buch für sehr interessant und informativ und spreche ihm im Gegensatz zu den meisten Veröffentlichungen zur Relativitätstheorie einen hohen Repertoirewert zu. Da sich die Autoren viel Mühe gegeben haben, die besten Argumente gegen die SRT zusammenzutragen und eine möglichst kohärente Kritik zu bieten, eignet sich das Buch zu einer Kritik an der Kritik an der Relativitätstheorie.

Die Autoren als 'Spinner' und 'Tatsachenverdreher' zu bezeichnen, wie dies geschehen ist, ist ungerecht. Aber ganz seriös gehen G. und M. mit der Wahrheit trotzdem nicht immer um (aber tut dies das wissenschaftliche Establishment?):

Während sie selbst Einsteins Arbeit zur Masse-Energie-Äquivalenz vom November 1905 unterschlagen (S.148), versuchen sie den Eindruck zu erwecken, Einstein hätte nicht nur im Zusammenhang mit dem Michelson-Morley-Experiment gelogen sondern sogar Dokumente verschwinden lassen (S.233-236).

Vor allem weil es sprachphilosophisch interessant ist, möchte ich kurz bei Einsteins vermeintlichem Widerspruch verweilen. Anfangs gehörten das Michelson-Experiment von 1881 und das M.-M.-E. von 1887 nur zu "den misslungenen Versuchen, eine Bewegung der Erde relativ zum Lichtäther zu konstatieren". Wahrscheinlich weil es von allen diesen Versuchen der überzeugendste war, wurde das M.-M.-Experiment zum Symbol für diese Versuche. M.-M.-E. (oder M.-E.) steht also einerseits für sich selbst und andererseits als Symbol stellvertretend für alle misslungenen Versuche.

Bei der folgenden Kritik werde ich mich primär auf das konzentrieren, was mir falsch erscheint. Dass diese Beschränkung dem Ganzen natürlich nicht gerecht wird, darauf möchte ich hier ausdrücklich hinweisen. Auch habe mich mehr von Seitenzahlen als von systematischen Gesichtspunkten leiten lassen.

S. 13 : "Müller ... zeigt auch, dass eine Spannung ohne relative Bewegung zwischen Magnet und Leiter induziert wird, wenn die gesamte Anordnung gedreht oder periodisch hin- und hergeschoben wird. Dieser Befund steht in krassem Gegensatz zur Relativitätstheorie ..."

Wir haben hier ein Argument (1. Hauptthema), das in verschiedenen Variationen immer wiederkehrt. "Ohne relative Bewegung" bedeutet hier: alle Abstände im untersuchten System bleiben gleich. Das hat aber überhaupt nichts mit dem klassischen oder dem relativistischen Relativitätsprinzip zu tun, die ja beide auf den Trägheitssatz zurückgehen. Somit können auch Experimente wie z.B. der Unipolarinduktor (S.172) die SRT nicht widerlegen.

S. 38 : "... das Relative wird bereitwilliger akzeptiert und vor dem Absoluten besteht eine gewisse Furcht. Unter diesem Aspekt erscheint uns Newtons Mechanik sehr mutig."

Selbst, wenn der erste Teil der Aussage heutzutage gültig sein sollte, bliebe der zweite anachronistisch, denn zu Newtons Zeit war das Relative sicher nicht modern. Die Bedingtheit, Abhängigkeit und Relativität scheinbar absoluter Standpunkte zu erkennen, war und ist ein wesentliches Prinzip menschlichen Erkenntnisgewinns.

S. 45 : "Wer aus einem fahrenden Zug springt ... sie oder er hüpft nicht von einem Koordinatensystem ins andere."

Auch dieses Argument (2. Hauptthema) kehrt in unterhaltsamen Variationen immer wieder. Wenn Günter Nimtz wirklich das Buch als "aberwitzig" bezeichnet haben sollte, dann wahrscheinlich wegen solcher Aussagen.

S. 47 - 49 : Hier haben wir ein wesentliches Argumentationsprinzip (3. Hauptthema) der Autoren, nämlich die m.E. ziemlich willkürliche Unterscheidung der Mechanik in Dynamik und Kinematik. Überspitzt könnte man sagen: Was den Autoren gefällt, gehört zur Dynamik, was ihnen missfällt, zur Kinematik.

"Die Kinematik beschreibt, die Dynamik begründet."

Das Verhältnis von Dynamik zu Kinematik entspricht ziemlich genau dem Verhältnis von Erklären und Beschreiben. Die Unterscheidung von Erklären und Beschreiben ist aber keine absolute Bestimmung. Erklären oder beschreiben die drei Ellipsen-Gesetze die Planetenbahnen? Mit der Beschreibung eines allgemeinen Sachverhalts können spezielle Sachverhalte erklärt werden. Eine Erklärung des allgemeinen Sachverhalts kann zur Beschreibung eines noch allgemeineren Sachverhalts führen.

"Die Kinematik kann sich mühelos über physikalische Prinzipien, z.B. die eiserne Energieerhaltung hinwegsetzen."

Eine korrekte Beschreibung kann sich nie über die Realität (und somit über die physikalischen Gesetze) hinwegsetzen!

" 'Das sogenannte Galileische Relativitätsprinzip gilt daher nie in der Dynamik ...' ".

Hier zeigen die Autoren nicht nur Konsequenz, sondern auch, dass sie eine ganz spezielle Vorstellung von der klassischen Mechanik haben. Das bestätigen sie auch mit folgender Aussage: "Wir erinnern daran, dass allein die wohlbekannte Möglichkeit der Kreiselnavigation ein schlagender Beweis für die Existenz des eindeutigen globalen Bezugssystems ist, welches wir Weltall nennen." (S.207)

S. 52 : "Newton verwendete stets die Schreibweise F = d(mv)/dt. Er war offenbar viel zu vorsichtig, um sich die Möglichkeit einer zeitlich veränderlichen Masse entgehen zu lassen."

An mehreren Stellen weisen die Autoren auf diesen Sachverhalt hin. Das Zusammenfassen von m und v dürfte eher darauf zurückzuführen sein, dass in Stossexperimenten (Impulserhaltung) eben das Produkt von m und v der wesentliche Parameter ist. So gesehen war dazumal es ein Fortschritt, die unveränderliche Masse von der veränderlichen Geschwindigkeit zu trennen.

S. 55 : " 'Die Relativität selbst und damit ihre Theorie wurzelt im Grunde in der absoluten Zeit und dem absoluten Raum' "

Diese 'absolute' Raum-Zeit gilt sogar in allen Inertialsystemen (mit darin ruhenden Beobachtern)! Natürlich muss in der Relativitätstheorie von einer idealisierten (d.h. absoluten) Zeit und von einem idealisierten Raum ausgegangen werden. Man könnte sagen, dass Einstein mit den Kantischen Anschauungsformen Raum und Zeit eine physikalische Raum-Zeit konstruierte. Somit bleibt auch "das Konzept eines sinnvollen Einheitensystems" (S.157) gewahrt.

S. 58 : "Photonen breiten sich prinzipiell nur im materiefreien Raum aus."

Photonen breiten sich auch in durchsichtigen Medien wie z.B. Wasser aus, und für diese Medien halte ich den Begriff 'materiefreier Raum' für unzulässig. (Bei e.m. Wellen in metallischen Medien handelt es sich nicht um Photonen.)

S. 62 : "der klassische Doppler-Effekt ist eine idealisierte kinematische Beschreibung, welche die physikalische Kopplung zwischen Beobachter und Quelle vernachlässigt. Er existiert daher nicht."

Diese in bdw kritisierte Stelle über den "klassischen Dopplereffekt" halte auch ich für ziemlich diffus und etwas sonderbar.

"Das berühmte Nullresultat von Michelson-Morley lässt sich als Voigt-Doppler-Effekt verstehen."

Hier haben wir also den zentralen und vielleicht wichtigsten Punkt. Nur leider erfährt man im ganzen immerhin 272 Seiten langen Buch absolut nichts Konkretes über diesen Voigt-Doppler-Effekt, ausser dass er sich vom "klassischen - rein kinematisch betrachteten - Doppler-Effekt durch die Berücksichtigung der Wechselwirkung zwischen Quelle und Beobachter unterscheidet" (S.78), "... Damit hängt der (akustische) Voigt-Doppler-Effekt von den Details der mitbestimmenden Mechanismen ab und wird entsprechend kompliziert." (S.80) und "Die physikalisch korrekte Darstellung des Voigt-Doppler-Effekts berücksichtigt, dass sich die Lichtgeschwindigkeit (d.h. die der Energieausbreitung) vektoriell zu der des Beobachters addiert." (S.81).

S. 80 (51) : "Die SRT bleibt die Antwort auf die Frage schuldig, welche mysteriöse Eigenschaft des Lichtes es befähigen soll, seine Geschwindigkeit instantan ohne dynamische Wechselwirkung auf jeden beliebigen Bewegungszustand des Beobachters einzurichten."

Solche Aussagen zeigen klar, dass die Autoren eine falsche Vorstellung von der Relativitätstheorie haben, was ihnen aber nur bedingt angelastet werden kann.

S. 83 (103) : "Die SRT kennt nur einseitig Schrumpfung oder Dilatation mit wachsender Relativgeschwindigkeit."

Dass dem nicht ganz so ist, sollte z.B. aus dem Raumschiff-Paradox ersichtlich sein. Viele vorschnelle Verurteilungen der SRT basieren auf dem (praktischen) Ignorieren der Gleichzeitigkeits-Definition der SRT.

S. 84 : Dass "alle (Irr)wege zur Lorentz-Transformation führen", ist erstaunlich aber ziemlich wahr. Die SRT war der Versuch, diesem Faktum möglichst vorurteilsfrei gerecht zu werden.

"Der Vater der 'Lorentz-Transformation' ist Woldemar Voigt. ... Zu Voigts Rechtfertigung sei wiederholt, dass er nie daran dachte, Zeit und Raum zu transformieren."

Ob Herleitungen der LTG richtig oder falsch sind, ist irrelevant. Die mathematische Existenz der LTG und die synthetisch-apriorischen Folgerungen der SRT können nicht geleugnet werden. Dass es im Zusammenhang mit beschleunigten Beobachtern (aber möglicherweise nur dann) zu Widersprüchen kommt, ist so eine Folgerung. Die LTG lassen sich auch anschaulich verstehen. Ich selbst habe 1987 geschrieben, dass in der SRT Zeit und Raum als Abstrakta verändert werden. Erstaunlicherweise kann ich dem Wortlaut dieser Aussage (im Gegensatz zu dem damals von mir intendierten Sinn) auch heute zustimmen, da ich 'abstrakt' heute als 'das dem Konkreten Gemeinsame' auffasse.

Zur Verteidigung kleinerer logischer Ungereimtheiten bei Herleitungen: Bei völliger logischer Konsistenz lässt sich nur das herleiten, was irgendwie und irgendwo schon vorausgesetzt ist. Ludwig Feuerbach hat einmal sinngemäss geschrieben: <Nur der, bei dem das Resultat im Gegensatz zum Ausgangspunkt steht, ist ein kreativer Denker.>

S. 99 (103) : "Offensichtlich ist der 'relativistische Massenzuwachs' in der SRT ein nicht-physikalischer, vom Beobachter erzeugter illusorischer Scheineffekt"

Dieser Effekt ist genauso real oder scheinbar wie die klassische kinetische Energie. Die (nicht nur illusorischen) Auswirkungen einer Kollision eines Raumschiffs mit einem kleinen Gesteinsbrocken hängen von der Relativgeschwindigkeit ab!

S. 108 : Die meisten Theorien lassen sich verschieden anwenden und interpretieren. Aber die Thomas-Präzession als direkte Folge der SRT zu betrachten (nur weil das Experiment ein Null-Ergebnis lieferte), halte ich für nicht richtig.

Mit den Experimenten ist es so eine Sache. Wir alle glauben einfach an die Experimente, die unseren eigenen (Vor-) Urteilen entsprechen, und halten die anderen für fehlerhaft oder gar manipuliert. Wir haben aber gar keine andere Wahl, denn Experimente widersprechen oft sich gegenseitig und gesicherten Erkenntnissen.

S. 112 : "Newtons Inertialsystem ist, wie wir betonen, für das gesamte Universum eindeutig und global definiert."

Wenn dem wirklich so wäre, wäre das ein starkes Argument gegen die Galaxienflucht (die mir auch nicht völlig gesichert erscheint).

S. 123 : "Die Absurdität relativistischen Denkens gipfelt darin, dass nur die gleichförmigen Relativgeschwindigkeiten, nicht aber die extremen Beschleunigungen ... einen Effekt haben sollen."

Ob Beschleunigungen einen Effekt haben oder nicht, hat nichts damit zu tun, dass Relativgeschwindigkeiten (im Rahmen der SRT) einen haben.

"... Zeitdehnung .., da dieser Begriff ständig mit Verlangsamung von Prozessen verwechselt wird."

Wenn ausnahmslos alle Prozesse sich im selben Verhältnis verlangsamen, ist es am einfachsten zu sagen, die Zeit geht langsamer. Die RT ist eine Theorie über Raum und Zeit in einem erkenntnistheoretischen Rahmen.

S. 129 : " "Die Kontraktion ist also nur eine Folge der Betrachtungsweise, keine Veränderung einer physikalischen Realität. Also fällt sie nicht unter die Begriffe von Ursache und Wirkung. Durch diese Auffassung wird auch jene berüchtigte Streitfrage erledigt, ob die Kontraktion 'wirklich' oder nur 'scheinbar' ist. Wenn ich mir von einer Wurst eine Scheibe abschneide, so wird diese grösser oder kleiner, je nachdem ich mehr oder weniger schief schneide. Es ist sinnlos, die verschiedenen Grössen als 'scheinbar' zu bezeichnen, und etwa die kleinste, die bei senkrechtem Schnitt entsteht, als die 'wirkliche' Grösste." "

Die Kritik dieses m.E. äusserst vernünftigen Kommentars von Max Born zeigt noch einmal sehr eindrücklich, dass die Autoren die Relativitätstheorie ganz anders verstehen als deren echte Vertreter.

Darin, dass 'relativistische Mechanik' für die Hochgeschwindigkeits-Mechanik keine ideale Bezeichnung ist, stimme ich den Autoren zu. Nur halte ich 'Kaufmann-Mechanik' für auch nicht viel vernünftiger. Ob Walter Kaufmann von der Wissenschaftsgeschichte ungerecht behandelt worden ist, kann ich nicht beurteilen. In den (meisten) Lexika sucht man ihn vergebens. Es ist schade, dass G. und M. nicht wenigstens ein paar Informationen zu Kaufmanns Leben und Theorien liefern.

S. 130 : "Das hyperbolische Additionsgesetz à la Lorentz und die Geschwindigkeitsdefinition à la Galilei haben nichts miteinander gemein ... Sie sind Ausdrücke zweier einander ausschliessender Welten."

Beide haben in bestimmten Anwendungsbereichen eine Berechtigung. Dadurch, dass die Autoren "das asymptotische Verhalten bei v = c" (S.52) nicht leugnen, geben sie zu, dass das normale Additionsgesetz nicht uneingeschränkte Gültigkeit haben kann.

S. 133 : "... E = mc2 ... diese Formel und ihr mathematisches Äquivalent m(v) = m0 / √[1-v2/c2] widersprechen dem Relativitätsgedanken."

Diese Aussage, die mit einer anscheinend fehlerhaften Herleitung begründet wird, ist falsch, denn es ist irrelevant, ob irgendeine 'relativistische' Herleitung dieser Formel richtig oder falsch ist. Die mich wirklich überraschende Erkenntnis, dass die beiden obigen Formeln (unter einer naheliegenden Prämisse) äquivalent sind, behandle ich weiter unten.

S. 135 : "Die geschwindigkeitsabhängige Massenzunahme muss daher ein absoluter Effekt sein, der den Einfluss des hierarchisch strukturierten 'Restsystems' wiedergibt. Dieses Restsystem ist das eine und einzige und daher ausgezeichnete globale Bezugssystem S schlechthin ..."

Während ich dem ersten Satz voll zustimmen kann, frage ich mich beim zweiten, inwiefern das einzige globale Bezugssystem denn noch hierarchisch strukturiert sein könnte.

S. 136 : "Die Geschwindigkeitsabhängigkeit von Massen als absoluter Effekt begräbt Machs Hoffnung, eine Physik aufzubauen, in der nur relative Teilchenkoordinaten ri - rj und ihre zeitlichen Ableitungen vi - vj und ai - aj vorkommen."

So eine "echte Relativität im Sinne Machs" bezeichnen die Autoren auch als "relationelle Physik" (S.14). Die Aussage wird aber durch die Möglichkeit einer Relationalitätstheorie widerlegt. Viele Irrtümer entstehen dadurch, dass man glaubt, die Unterscheidung in absolut und relativ sei eine absolute Bestimmung. Ob aber etwas sinnvoll als absolut oder relativ zu bezeichnen ist, hängt wiederum von Voraussetzungen ab. Nur ist man sich dieser Voraussetzungen normalerweise nicht bewusst.

S. 145 : "Das Auftreten der Lichtgeschwindigkeit im Zusammenhang mit Masse ist nur einsichtig, wenn man sich auf den Standpunkt stellt, dass Masse elektromagnetischen Ursprungs sei."

Geben die Autoren damit nicht indirekt zu, dass Masse eben doch mit (e.m.) Energie äquivalent ist, was sie an verschiedenen Stellen leugnen? Aber trotzdem ist ihr Schluss nicht zwingend und somit falsch.

S. 149 : Newton vertrat (trotz dagegen sprechender Indizien) die Meinung, dass Licht aus kleinen Materieteilchen besteht. Eine Umwandelbarkeit von solchen Materieteilchen in normale Materie und umgekehrt als Vorwegnahme der der Masse-Energie-Äquivalenz zu bezeichnen, ist mehr als nur ein Anachronismus.

S. 152 : Die Herleitung von m = m0 / √[1-v2/c2] ist insofern interessant, weil sie erst dann verständlich wird, wenn man sie rückwärts durchführt. Das Resultat lässt sich umformen zu:

m2 = m02 / (1 - v2/c2) = c2 m02 / (c2 - v2)

m2 (c2 - v2) = c2 m02

c2 (m2 - m02) = (m v) 2

Wenn man weiss, dass das Integral von f[x] = x die Funktion g[x] = 0.5 x2 ergibt, ergibt sich die 'Herleitung' fast von selbst. Wenn man die letzte Gleichung mit 0.5 multipliziert, kann man die linke Seite durch

INTEGRAL von m0 bis m über c2 m dm

und die rechte durch

INTEGRAL von 0 bis m v über (m v) d(m v)

erzeugen, und hat somit den Ausgangspunkt für die 'Herleitung'. Aber auf so eine Weise kann man so ziemlich alles herleiten! Bei einer korrekten Herleitung muss jeder Schritt sowohl mathematisch korrekt als auch physikalisch begründet sein.

S.153 : "Fast alle der enorm zahlreichen Autoren von SRT-Lehrbüchern zeigen Anzeichen akuten Gedächtnisschwundes und vergessen völlig die Existenz der potentiellen Energie."

Da die SRT an und für sich nicht viel mit potentieller Energie zu tun hat, ist dies verständlich. Weniger verständlich erscheint es mir bei G. und M. selbst (z.B. bei ihrer Ablehnung der konsequenten Masse-Energie-Äquivalenz).

S. 154 : "Für zwei miteinander wechselwirkende Teilchen ist die potentielle Energie kontinuierlich im Raum verteilt."

Hier würde mich z.B. interessieren, wo überall die potentielle Energie verteilt ist, die die Erde gegenüber der Sonnenoberfläche hat.

S. 156 : "Kurzum ... die Beziehung E=mc2 ist eher eine 'wenn-dann'-Beziehung als eine logische Identität: Energie hat Trägheit; aber Masse ist nicht oder nicht vollständig in Energie verwandelbar." siehe S.145

Viele Irrtümer, nicht nur bei G. und M., entstehen dadurch, dass (potentiell vorhandene) Energie (z.B. die gravitations-potentielle Energie der Erde gegenüber dem Schwerpunkt unserer Galaxie) und nutzbare Energie nicht unterschieden werden.

"Dass 1 kg Masse 1 Meter über dem Boden auf dem Mond eine um einen Betrag ΔEpot kleinere Konfigurationsenergie hat als auf der Erde, überrascht nicht. Niemand schliesst daraus, dass 5/6 der Masse auf dem Mond im Vergleich zur Erde 'verschwunden' (in Energie verwandelt) sind. Wenn der potentiellen Energie eine äquivalente Masse zugeschrieben wird, dann ist die Ruhemasse '1 kg' auf dem Mond um ΔEpot/c2 kleiner."

Hier argumentieren die Autoren erstaunlich relativistisch (oder naiv). Die ART würde es vielleicht erlauben, den Mondboden und den Erdboden im selben Argument als Nullpunkt für potentielle Energie anzusehen. Ansonsten muss aber statt ΔEpot der absolute Potentialunterschied zwischen Mond und Erde berücksichtigt werden.

" 'Die Energie, die bei einer Atomexplosion frei wird, stammt also direkt aus dieser Quelle und ist nicht durch die Verwandlung von Masse in Energie hervorgebracht.' "

In diesem Zitat zeigt auch Heisenberg, dass er die Masse-Energie-Äquivalenz nicht verstanden hat.

S. 169 : "Man kann eindrucksvoll belegen, dass das Biot-Savart Gesetz absurd ist, da es eine nichtverschwindende Kraft eines geschlossenen Stromkreises auf sich selbst voraussagt."

Das kann ich mir kaum vorstellen, wäre aber eine Überprüfung wert.

S. 201 - 202 : "Die absolute Geschwindigkeit des Sonnensystems v verursacht eine (über das Erdenjahr gesehen) konstante Bradley-Aberration, die jedoch durch die jährliche Bradley-Aberration aufgehoben wird."

Der Nebensatz ist schlicht und einfach falsch.

"Angesichts der Sternenaberration ist die SRT ... rat- und machtlos. Hier, wie in den wichtigen dynamischen Effekten der Physik zählt nicht die relative Bewegung zwischen zwei Objekten (Teilsystemen), sondern ihre Geschwindigkeit in Bezug auf das eine globale Inertialsystem."

"Wie aber schon Bradley einsah, ist einzig und allein die Bahngeschwindigkeit v der Erde der für die Aberration entscheidende Parameter."

Diese beiden Zitate finden sich sogar auf derselben Seite! Die Sternenaberration wird von der SRT entgegen der Ansicht von G. und M. vernünftig erklärt.

S. 227 - 229 : "Für den Fall, dass unter E die kinetische Energie verstanden werden soll, sieht man leicht, dass die Formel E = mc2 und m = m0/√[1 - v2/c2] äquivalent sind."

(Dass die Ablehnung einer konsequenten Masse-Energie-Äquivalenz die Autoren sogar dazu bringt, einer ruhenden Masse m0 die !kinetische! Energie E = m0c2 zuzusprechen, soll nicht weiter kommentiert werden.)

Zwei so unterschiedliche Formeln können natürlich nur unter bestimmten Prämissen äquivalent sein. Die Prämisse aber, unter denen die eine aus der anderen abgeleitet werden kann, ist in diesem Fall erstaunlich einfach:

dE[v] = v dp[v]

Dass dieser Differentialausdruck gültig ist, ist keineswegs so selbstverständlich, wie die Autoren glauben machen. Ich war zuerst der Meinung, dass dieser Ausdruck nicht gültig sein kann, da er einer eigenen Herleitung zu widersprechen scheint. Nachdem ich mich später aber an konkreten Beispielen überzeugte, dass er doch gültig ist, zweifelte ich an meiner Herleitung, die von folgendem Energiedifferential ausgeht:

dE[v] = v m[v] dv

Am Anfang ihrer Herleitung schreiben die Autoren, dass sie den vorausgesetzten Differentialausdruck "am Schluss durch Rechnung rechtfertigen" werden. Bei einer korrekten Herleitung wäre es aber überflüssig, die Prämisse mit Hinweis auf ihre Gültigkeit in der Konklusion zu rechtfertigen. Die Herleitung scheint mir aber alles andere als korrekt zu sein. Aufbauend auf

dE = v2 dm + mv dv

dE = c2 dm

ist bis zur Gleichung B3

(c2 - v2) dm = mv dv

alles korrekt. Nur dass es eine Abhängigkeit zwischen v und m gibt, ist nicht ersichtlich. Gegen den nächsten (übersprungenen) Schritt ist auch nichts einzuwenden, sofern man die erwähnte Abhängigkeit im Auge behält.

1/m dm = v/(c2 - v2) dv

Danach werden beide Seiten der Gleichung unabhängig voneinander integriert, wobei sich sogar die Bedeutung von dm und dv ändert. ln(m) ist nämlich nicht das Integral von 1/m dm, sondern das Integral von 1/m.

Bemerkung 2015-12-13

Es handelt sich um die (vielleicht etwas unsorgfältige) Lösung der Differentialgleichung. Die Lösung fällt ja nicht vom Himmel, wie ich hier naiverweise angenommen habe (siehe auch).

Die Integrations-Konstanten werden nur mit Blick auf das angestrebte Resultat gewählt. Während die Wahl "von m0 bis m" für die linke Seite vernünftig ist

INTEGRAL von m0 bis m über 1/m dm

ist die Wahl "von v0 bis v" für die rechte Seite geradezu absurd (was noch augenfälliger wäre, würde man nicht erst weiter unten, sondern schon hier v0 durch c ersetzen):

INTEGRAL von v0 bis v über v/(c2 - v2) dv

Als Lösung ergibt sich:

ln[m] - ln[m0] = - 0.5 ln[c2 - v2] + 0.5 ln[c2 - v02]

Daraus machen G. und M. in B5

ln[m] - ln[m0] = - 0.5 ln[c2 - v2] + 0.5 ln[v02]

und begründen dies mit der "physikalisch sinnvollen Wahl der Integrations-Konstanten und ihrer Vorzeichen". Nach der willkürlichen Substitution von v0 durch c und weiteren Schritten, gegen die nichts einzuwenden ist, erhalten sie schliesslich das gewünschte Resultat:

m = m0 / √[1 - v2/c2]

Dieses Resultat hätten sie aber ausgehend von Gleichung B3 auch direkt erhalten können. Diese Gleichung lässt sich umformen in:

dm[v]/dv = m[v] ∙ v / (c2-v2)   oder   m'[v] = (m[v]/c2) ∙ v / (1 - v2/c2)

Und diese Differentialgleichung, die analog zur Gleichung (1) meiner Herleitung (im Folgenden als Herleitung 1 bezeichnet) ist, hat genau das gesuchte Resultat als Lösung. Der Vorteil von Herleitung 1 ist die Tatsache, dass E=mc2 nicht vorausgesetzt werden muss, sondern abgeleitet wird. Der Nachteil ist, dass sie etwas komplizierter ist als die hier korrigierte Herleitung von G. und M. (im Folgenden als Herleitung 2 bezeichnet).

Aber dass zwei so verschiedene Gedankengänge zur richtigen Lösung führen, erstaunt und fasziniert mich nach wie vor, obwohl ich immer mehr zu erkennen glaube, dass dies so sein muss. Ich habe mich nämlich bisher gewundert, dass Impulserhaltung, Energieerhaltung und Additionstheoreme in der SRT so zusammenspielen.

Der Grund dürfte genau darin liegen, dass der Faktor (1 - v2/c2) sowohl beim hyperbolischen Tangens, der mit Ableitung 1 in Beziehung steht, als auch bei der Energie-Definition von Ableitung 2 auftritt. Hier diese Energie-Definition:

dE[v] = v dp[v]   mit   dp[v] = v dm[v] + m[v] dv

Herleitung 1 basiert auf dem freien Fall, d.h. gravitations-potentielle Energie geht in kinetische über, während die Gesamtenergie bzw. Masse unverändert bleibt. Der erste Summand v dm[v] der Impulsableitung dp[v] kann somit weglassen werden, und es bleibt dp[v] = m[v] dv. Wegen der erhöhten Lichtgeschwindigkeit auf dem tieferen Gravitationspotential ergibt sich noch der Faktor (1 - v2/c2).

Herleitung 2 basiert auf einer Beschleunigung auf einem konstanten Gravitations-Potential. Da hier die Zunahme der kinetischen Energie die Gesamtenergie erhöht, kann der Summand v dm[v] nicht weggelassen werden. Dieser Summand erhöht die Energie, die zur Beschleunigung um dv benötigt wird, in genau dem Masse, wie bei Herleitung 1 die an der Lichtgeschwindigkeit gemessene Geschwindigkeits-Erhöhung dv wegen der höheren Lichtgeschwindigkeit auf dem tieferen Potential kleiner als die absolute Geschwindigkeits-Erhöhung dw ist.

S. 232 - 233 : Sehr interessant ist auch die Behandlung des Hoek-Experiments durch die Autoren. Sie interpretieren dieses Experiment als Widerlegung der Fresnelschen Formel für die Lichtausbreitung in fliessendem Wasser. Diese Formel steht, aus welchen Gründen auch immer, in Einklang mit der SRT. Die Widerlegung basiert auf der Prämisse, dass sich die Erde mit einer Geschwindigkeit von etwa 300 km/s relativ zum absoluten Raum bewegt.

"Offensichtlich war Einstein nicht mit dem Experiment von Hoek aus dem Jahre 1868 vertraut, sonst hätte er einsehen müssen, dass ... sein Modell nicht eindeutig unterstützt. Hoek fand zwischen den beiden Lichtwegen in seiner Apparatur (in der das Licht in beiden Richtungen durch ein im Labor ruhendes Medium und durch Luft geht) keine Phasendifferenz."

Wenn Einstein das Experiment gekannt haben sollte, interpretierte er es sinnvollerweise nicht als Widerlegung der Fresnelschen Formel, sondern rechnete es nur zu "den misslungenen Versuchen, eine Bewegung der Erde relativ zum Lichtäther zu konstatieren".

Zur Widerlegung der Formel Fresnels nehmen die Autoren also an, dass die Lichtgeschwindigkeit auf der Erde in Abhängigkeit der Ausbreitungsrichtung im Bereich von etwa 299700 km/s bis etwa 300300 km/s schwankt, eine Hypothese, die keines weiteren Kommentars bedarf.

In diesem Zusammenhang möchte ich noch darauf hinweisen, dass die Interpretationen von Poincaré und Lorentz, nach der die LTG sich nur auf die Gegenstände (in Abhängigkeit der absoluten Geschwindigkeit), nicht aber auf Raum und Zeit selbst auswirken, den experimentellen Fakten weniger gerecht werden als die SRT. Die Einweg-Geschwindigkeiten im leeren Raum, z.B. zwischen Planeten oder Raumsonden und der Erde, könnten dann nämlich immer noch im Promille-Bereich von c abweichen (unter der Annahme, dass die absolute Geschwindigkeit der Erde im Promille-Bereich von c liegt).

Dieses Argument trifft auch die 'inertial transformations' von Franco Selleri, die eine Abwandlung der LTG bzw. SRT darstellen, bei der absolute Gleichzeitigkeit gewahrt bleibt.

S. 1 - 272 : Das Buch von Galeczki und Marquardt zeigt sehr schön, dass man sich zwangsläufig in unzählige kleinere und grössere Widersprüche verstrickt, wenn man aufbauend auf den Prämissen, die zur Relativitätstheorie geführt haben, diese Theorie negiert. Ich glaube den Autoren, wenn sie über das Buch sagen: "Sein Inhalt ist besten Wissens und Gewissens so objektiv, wie es die uns zugänglichen Quellen nur zulassen." (S.223) Nur ist es ein äusserst schwieriges Unterfangen, immer objektiv zu sein. Nur allzu leicht lässt man sich von unbewussten (Vor-) Urteilen und Wünschen (ver-)leiten. Und zudem ist es immer gefährlich, sich auf Quellen zu verlassen.

Dass die Relativitätstheorie unhaltbar ist, soll hier nicht geleugnet werden. Auch nicht, dass gerade die Aufhebung der Gleichzeitigkeit, die am schwersten nachvollziehbar und somit direkt oder indirekt Hauptangriffsziel der Gegner war, die Theorie zu Fall bringt.

Aber das eigentlich Erstaunliche ist doch Folgendes: Wieso kann eine falsche Theorie eine so konsistente Erklärung so vieler völlig unterschiedlicher physikalischer Phänomene liefern? Die SRT ist (im Gegensatz zur ART) keine 'konstruierte' Theorie. Eine kontinuierliche Entwicklung führte zu ihr, wobei jeder Schritt sich fast wie von selbst aus den vorhergegangenen ergab.


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